Tradition of Change |
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von Paul-Bernhard Berghorn
Ausstellung First Nations Künstler aus dem Yukon/ Kanada im Indianaermuseum Zürich. Sieben Monate lang hatte der interessierte europäische Betrachter die Möglichkeit, sich mit sehr speziellen Künstlern, die im Indianermuseum Zürich ausstellten, auseinander zusetzen. Es waren elf Künstler, die aus dem grossen, aber spärlich besiedelten kanadischen Yukon kamen und alle der First Nations angehören, und teilweise ihre bildnerischen Werke zum ersten Mal in Europa zeigten. Mag aus kanadischer Sicht der Zugang zu ihren Werken (vielleicht) verständlicher sein als in Europa, so ist es gerade – aus europäischer Sicht – die bemerkenswerte Kombination von Materialien, Stil und eindeutiger Aussage, die fremd und neu wirkt, gleichzeitig in ihrer kompromisslosen Intensität auch sehr berührt. Der vorzüglich gestaltete Ausstellungskatalog (in den Sprachen ital., eng., franz., deut.) vermittelt einen ebenso vertiefenden Blick in die Arbeits- und Denkweise der Künstler, als er auch bemerkenswertes über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen unter denen sie ihre kreativen Inspirationen umsetzen. Darüberhinaus vermittelt er Wissenswertes über das Yukon Territorium. Und allein diese Angaben lassen aufhorchen und zeigen das komplett andere Umfeld als etwa jenem in dem der sogenannte <moderne> Künstler in Europa, Lateinamerika oder den USA lebt. Das Yukon Territory hat eine Grösse von 483.450 km2, mit knapp 30.000 Einwohnern, wobei die vierzehn verschiedenen First Nations fünfundzwanzig Prozent der gesamten Einwohner ausmachen. Als Vergleich: die Schweiz ist 41000 km2 gross mit 7,4 Mio. Einwohnern. Allein diese Gegenüberstellung zeigt, dass die Künstler im Yukon ganz andere Ausgangssituationen haben. Wenden wir uns den Künstlern zu, so wollen wir mit Maria Caesar beginnen, die ihre Haltung zu ihrer Kunst wie folgt formuliert: „My art helps me to cope and to heal" - In ihren Bildern setzt sie sich u.a. mit ihrer Kindheitsgeschichte auseinander. Eindrucksvoll ihr Bild School of Horrors (2005). Ein Bild im Stile der „naiven" Malerei, das durch die Spannung der einzelnen Motive dynamisch wirkt. Eine verklärte Muttergottes in der vorderen Bildmitte, rechts von ihr ein Indianergesicht, welches von einer weissen Faust geschlagen wird, links ein kleines Mädchen, welches putzen muss. Im oberen Bildzentrum ein alles sehendes – stechendes – Augenpaar. Diese gesamte Szene ist mit einem sich windenden Stacheldraht umfasst. Ein beklemmendes Bild - fern jeglicher modernistischer Intellektualität, Abstraktion und ausufernder Vieldeutigkeit. Hintergrund dieses Bildes ist, dass Maria Caesar als vierjähriges Kind in eine von Nonnen geführtes katholische Internatsschule kam, wo sie fünf qualvolle Jahre verbrachte. Hier wurde sie – wie viele andere indianische Kinder auch – misshandelt und ihrer Kultur entfremdet. Nur jene Kinder durften am Wochenende nach Hause, welche einen weissen Elternteil hatten. Die anderen indianischen Kinder durften nur in den Ferien zu ihren Eltern. Dies zeigt die inneren Kämpfe, die selbst eine Nation wie Kanada mit der kanada-indianischen Integration auszufechten hatte. (Es muss fairerweise erwähnt werden, dass seit den 80ger Jahren derartige Internatsschulen in Kanada geschlossen worden sind.) Frau Caesar hat wohl auch aus diesen Gründen begonnen, sich künstlerisch zu betätigen, und Türen für sie als Künstlerin beginnen sich zu öffnen! Einen völlig anderen Lebenshintergrund und Sichtweise finden wir bei Frances Oles („contemporary forms are my expression to maintain my identity"). Sie betreibt mit ihrem französischen Ehemann im Yukon eine kleine Fluggesellschaft. Sie hatte das Glück, bedeutende Lehrer zu finden, die sie unterstützten und im Gegensatz zu anderen Künstlern des Yukons wurde sie als Indianerin nicht in der Tradition ihrer Vorfahren, der First Nations erzogen. Deswegen möchte sie nicht nach alten Regeln und Mustern arbeiten, sondern ihre Identität mit modernen Gestaltungsformen finden. Sie versteht sich darin auch als Vorbild für eine junge Künstlergeneration im Yukon. Dem Yukon Territory sehr verbunden ist Gordon Peter („While I am carving I am listening to the loons and I feel good") Sein kreatives Material entnimmt er der Umgebung, in der lebt: Holz, Knochen, Horn, mit diesem formt er Skulpturen, die Geschichten seiner Tradition erzählen sollen. Vornehmlich schnitzt er Gesichter und Tiere, in jüngerer Zeit arbeitet er auch mit Mamor. So möchte er die Geschichten und mythologischen Figuren der Kaska (ein Volk der First Nations, dem er angehört) bewahren und fortsetzen. In Zürich ist seine wunderschöne Skulptur A H DAH DENE (2005) Sheephorn with Alaska black diamond on diamond willow and spruce burl , zu betrachten. Ein anderes Thema bei ihm aber auch bei den anderen Künstlern ist die Zerstörung der natürlich Umwelt, so z.B. bei Eugene Alfreds Druckgrafik Salomon`s Journey, wo er auf den Rückgang der Lachse im Yukon aufmerksam macht, und Frances Oles setzt in einem ihrer Bilder einen Raben inmitten auf einen Müllhaufen. – Als einzig ausstellender Künstler, der sich mit den neuen Medien beschäftigt und sie zu seiner Kunstform macht ist Doug Smarch („I mix the media but I don`t destroy the culture"). Seine Videoinstallation Lucinations erzählt die Geschichte eines Medizinmannes, der während seiner Seelenreise vom Bau des Alaska Highways überrascht wird. Es ist eine beeindruckende Arbeit, die sowohl ästhetisch als auch inhaltlich begeistert, und es war interessant zu beobachten, dass alle Altersklassen der Besucher gleichermassen von dem was sie hörten und sahen fasziniert waren.- Allen Künstlern die im Indianermuseum ihre Werke zeigten sind sich ihrer First Nations Wurzeln bewusst, sind der Quelle, aus der sie schöpfen, verbunden mit einer sehr hohen, seismographischen Sensibilität für die Veränderungen, die ihre Umwelt und ihre Lebensbedingungen erfahren. Wie ernsthaft sie ihre Kunst nehmen, zeigt sich auch daran, dass mit der Elchjagt im Herbst wieder Ruhe im Yukon einkehrt, aber von diesem Zeitpunkt an, verfügen nur noch vier der elf hier ausstellenden Künstler über ein regelmässiges Einkommen. Wenn es schon in Europa schwer ist sich als Künstler durchzusetzen, geschweige denn davon zu leben, wie beschwerlich muss es dann erst im Yukon sein?! Die Kunstwerke die hier eine Fülle von Symbolen in der indianischen Tradition aufweisen, als da sind Traumfänger, Rabe, Sonne, Lachs usw. sind für das europäische Auge ungewohnt. Themen, Hinweise in subtiler Symbolik darzustellen und zu verstehen, bedarf es, seine bildnerische Erwartungshaltung zu hinterfragen. Denn in Symbolen sich künstlerisch auszudrücken, ist in Europas bildender Kunst nicht (mehr) opportun. Das Auge ist geschult und erwartet Abstraktion, Reduktion, oder plakative Anklage. Wie ruhig kommen da die Werke der Yukon–Künstler uns entgegen, unaufdringlich, fern jeglich grellem Lärm, trotz ihrer Kritik, trotz ihrer unverrückbaren Anklage, teilweise die Aura des Geheimnisvollen verbreitend. Die andere Sichtweise der Welt und ihre Interpretation aus einer Weltgegend der Weite, dies macht diese lobenswerte Ausstellung zusätzlich wertvoll. Oder wie es im Katalog formuliert ist, dass trotz aller Globalisierung diese Kunst des Yukon, eine vergleichsweise isolierte (und junge) Kunst ist - und gerade das macht sie interessant. Womit bewiesen wäre, dass die Globalisierung dort ihre Grenzen erfährt, wo kulturelle Identität beginnt. Paul Bernhard Berghorn Zürich, Juni 2006 |
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