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Winter und Weihnachten Daheeme |
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Jetzt in den Dezembertagen, nach dem Lärm und Hasten des Sommers wandern unsere Gedanken oft zurück zu den Tagen der Kindheit: einer Kindheit, die wir in einem anderen Teil unseres Planeten verbracht haben und die nun, geteilt durch Meere und Grenzen zu einem sehr fernen und verschwundenem Paradies geworden ist. Dennoch sind diese Tage voller Seligkeit tief in unserem Gedächtnis verblieben - auch die letzten Tage des Schmerzes. Doch sie sollen die fröhlichen Tage und Jahre nicht verdrängen und es sind diese schöneren Tage und Jahre mit all den kleinen und größeren Freuden und Erlebnissen in meinem Heimatdorf, über die ich plaudern möchte. Gerade zur Winter- und Weihnachtszeit waren diese Tage am schönsten. Mögen die .Weihnachtsbräuche in den verschiedenen Gegenden etwas anders gewesen sein, doch wie sie in unserem Dorf und näherer Umgebung waren, davon will ich ein bißchen erzählen und ich hoffe, daß mancher meiner schlesischen Landsleute ein wenig mit dem Kopf nickt und sagt: „Ja ganz genauso woas bei uns ooch", und das der eine oder andere dann in Gedanken mit mir durch diese vergangene Winter-Weihnachtsmärchen wandert und daß wir stolz und fröhlich sein können, diese Täler, Höhen und Wälder gekannt zu haben. Ja, diese Wälder spielten wohl für uns alle eine besondere Rolle. Und Wälder hatten wir wirklich genug entlang der Oder und in all den Gebirgen wie Riesengebirge, Heuscheuergebirge, Bober- und Katzbachgebirge. Iser- und Altvatergebirge, im Glatzer und Waldenburger Bergland. Im Hultschiner Ländchen und entlang der Nebenflüsse der Oder. Und wenn ich mich so recht besinne, war man fast so von jedem Ort mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit Pferdefuhrwerk oder im Winter mit dem Schlitten binnen einer halben bis eineinhalb Stunden irgendwo in einem Wald. Mal Eichenwald, mal überwiegend Kiefern und Fichten und dann große Teile herrliche hohe Tannen oder der sogenannte Mischwald. Im Mai gings zum Springauf (Maiglöckchen pflücken), später Blau- und Preiselbeeren sammeln und im Herbst zum Pilze suchen oder auch Tannen- und Kiefernzapfen und Kleinholz (abgebrochene dürre Äste) sammeln für eine warme Stube im Winter und so ganz nebenbei brachten wir dann auch Heilkräuter für Tees mit nach Hause in dem guten alten Volksglauben „der Herrgott hat für jede Krankheit ein Kräutlein wachsen lassen." War dies im Sommer alles mit etwas Pflicht und Arbeit verbunden, so wurde uns unser Wald im Winter zum Kinderparadies. Da gab es so manche Höhe und Hügel, die zur Schlitten-Rodelbahn wurde, und so manchen kleineren oder größeren Bach, Teich oder See, der zum Schlittschuhlaufen einlud. Schlängelte sich ein Bach durch Wiesen, so bauten wir mit Steinen und Sandsäcken eine Schanze, so daß das Wasser überlief. Über Nacht entstand dadurch die herrlichste Eisarena mit Eishockey, Wettrennen und allen Schikanen. Manchmal brach auch einer ein, da gab’s nasse Kleidung, ab und zu nen tollen Schnupfen, etwas Schimpf und mal eins drauf von Vater oder Mutter und manchmal sogar einen angeknacksten oder verstauchten Fuß oder Ellenbogen, doch etwas wirklich ernstes war eigentlich nie passiert. Doch der allerschönste Tag im Jahr war, wenn wir mit Vater durch den tiefverschneiten weißen Wintermärchenwald stampften, um den schönsten Christbaum zu suchen. Auf einem Handschlitten nahmen wir ein Heubündel und, wenn’s noch nicht zu kalt war, auch ein paar Futter- und Mohrrüben und Weizen-, Hafer- und Sonnenblumenkörner mit, um sie in den aufgestellten Krippen zu verteilen für die Hasen, Eichhörnchen, Rehe, Hirsche, Wildschweine und die dagebliebenen Singvögel, damit auch unsere Waldtiere ihren Heiligenabendschmaus hatten. Durch den Winter hindurch taten dies dann die Förster und Waldaufseher. Mutter und die älteren Schwestern waren feste am Weihnachtsgebäck wie Stollen, Pfefferkuchen, Butter- und Rumplätzchen usw. backen und auch bei Oma im Obergeschoß oder im Auszughaus roch es nach diesen duften Leckereien. Die Weihnachtsgänse wurden geschlachtet, gerupft und in einem kalten Raum aufgehängt oder in die Geschäfte gebracht, denn Weihnachten ohne Weihnachtsgans das war einfach unmöglich. Jeder Bauer hatte davon eine ganze Schar, die anderen kauften sie dann im Geschäft oder - und das vor allem die Städter - holten sie dann bei Verwandten und Bekannten in den umliegenden Dörfern. Oder wer den Weihnachtskarpfen nicht vermissen wollte, der fuhr zum nächsten Karpfenteich: In diesen letzten Tagen vor Weihnachten landen wir minder selten den Heimweg von der Schule gleich nach Hause. Da gab es zu viele Schaufenster, an denen wir uns die Nase plattdrückten. Im Bäckerladen waren es Nikolaus und Engel aus Pfefferkuchenteig, Hexenhaus mit Hexe, Hänsel und Gretel, alles schön mit bunten aufgeklebten Bildern. Im Kaufmannsladen waren es viele schöne Spielzeuge: Karten- und Würfelspiele, Mensch ärgere dich nicht, Blei- und Zinnsoldaten, Eisenbahnen, Autos und natürlich für die Mädchen Puppen in allen Größen und herrlichen Kleidern, dazwischen Räuchermännle und Nußknacker, herrlicher Christbaumbehang aus den Gebirgsgegenden oder aus anderen Teilen Deutschlands - überwiegend aus Thüringen. Jeder von uns hatte dann seine heimlichen heißen Wünsche, was uns das Christkindel alles bringen sollte, und dabei vergaßen wir oft, daß die Dämmerung in diesen Tagen sehr zeitig kam. Doch wenn die Lichter angingen, waren diese Schaufenster noch verlockender. Jeden Tag wurde fleißig am Bildkalender ein neues Fensterchen geöffnet, ja und dann war der heilige Abend da. Vater - er war an diesem Tag schon immer von der Arbeit zuhause - und wir Kinder putzten den Christbaum mit Kugeln, richtigen Wachskerzen, Lametta. Engelhaar, glitzernden Girlanden und natürlich den Zucker-, Marzipan und Schokoladenkringeln, denn das Christkindel war zu beschäftigt und wir mußten ein bißchen helfen. Mutter bereitete eine große Schüssel Mohnklöße, dieses leckere Gemisch von eingeweichten Strietzeln, Mohn und Zucker, damit sie bis zum Abend schön durchziehen konnten. Dazwischen gab’s mal schnell ne Suppe, denn der Festschmaus war erst am Abend. Da gab’s dann eine große Schüssel voll mit Kartoffelsalat, heißer Knoblauchwurst und knusprige Wassersemmeln. Wir Kinder sagten dabei immer „ich will nen Rinken dreimal um den Bauch rum", d. h. ein so langes Stück, das wir dreimal um uns selbst wickeln könnten. Auch die Flasche Rum für einen heißen Grog durfte nicht fehlen. Einmal entglitt meiner Tante die Flasche, weil sie beim Auspacken zuviel in den Arm genommen hatte, und zerbrach klirrend im Hausflur. Der ganze köstliche Inhalt ergoß sich über den Fußboden. Der heiße Grog war weg, aber dafür duftete es im ganzen Haus wenigstens nach Rum. Danach hieß es jede Weihnacht: „Laßt bloß nicht die Rumflasche fallen!" Nach dem Essen hieß es für uns Kinder in der Schlafstube verschwinden, damit das Christkindel den Gabentisch decken konnte, der meistens in der Küche war oder in der guten Stube. Danach war es komischerweise schon wieder weg zu einem anderen Haus geflogen. Ertönte dann ein Glöckchen, durften wir rauskommen. Der hellstrahlende Weihnachtsbaum und all die vielen Geschenke darum verschlug uns erst einmal die Sprache, doch dann gab es ein fröhliches Geschnatter, eine Aufregung, daß die Eltern oft mahnen mußten, wir sollten uns beruhigen. Alles wurde in Augenschein genommen und wenn es mal ein enttäuschtes Gesicht gab, weil das Christkindel anstatt dem einen oder anderen Spielzeug warme Wollsachen, Nachthemd, Schlafanzug oder eben irgendwas zum Anziehen gebracht hatte, so wurden wir schnell beruhigt, daß nächstes Jahr das Christkindel es sicher nicht vergessen wird. Dazwischen lagen Schokoladen, Apfelsinen, Mandarinen und Teller mit Pfefferkuchen, Äpfeln und Nüssen. Hatten wir uns ein wenig beruhigt und nach dem Singen von „Stille Nacht, Heilige Nacht" und „O, du fröhliche o, du selige" kam die große Mohnschüssel auf den Tisch und eigentlich war es erstaunlich, was wir an diesem Abend alles so wegputzten. Nach 10 Uhr hieß es dann, Tisch abräumen, jeder ging mit seinen Herrlichkeiten zu seinem bestimmten Platz und dann fertig machen zur Christmette (Mitternachtsmesse). Nur die ganz Kleinsten, die längst schliefen und ein Erwachsener blieb im Haus, alles andere mußte mit zur Christmette. Ja und dieser Gang zur Christmette, in dieser Heiligen Nacht leuchteten die Lichter aus allen Häusern, Kirchen, Klöstern und Kapellen und besonders in den Gebirgsgegenden grüßten von den Höhen die Lichter jeden, der da noch Augen zum Schauen hatte, und die auf den Höhen blickten weit über die erleuchteten Täler und die Weihnachtsglocken klangen über das schlesische Land, riefen die Gläubigen zur Christmette. Dieser Glaube, der über viele Generationen hindurch in allen tief verwurzelt war, und das Gloria in Exelsis Deo - Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden - klang inbrünstig durch diese stille heilige Nacht. Wieder zu Hause angekommen fielen wir in einen seligen Schlaf und im Traum träumten wir weiter vom Christkindel und ob es dies, was es heuer vergessen hatte, wohl tatsächlich nächstes Jahr bringen wird. Die Älteren jedoch dachten an ihre größeren und kleineren Sorgen, doch in dieser Nacht hatten sie wiedermal alles in Gottes Hand gelegt. Es gäbe wohl noch viele Kleinigkeiten, die das ganz besondere dieser schlesischen Weihnachten ausmachten, doch lassen wir nun noch einen berühmten Sohn unserer schlesischen Heimat sprechen. Er konnte das besser als ich. Markt und Straßen steh’n verlassen. An den Fenstern haben Frauen Und ich wandre aus den Mauern Sterne hoch die Kreise schlingen, Joseph Freiherr von Eichendorff Mögen wir nun in Gedanken unsre Glocken der Heimat hören, die Spitzen der Berge uns grüßen und die Bäume unserer Wälder - besonders die Tannen - uns zuflüstern „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen auf Erden". Ursula Pawelko
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