5. Brief aus Kanada |
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von Rolf Studer
Von Jägern und GejagtenDie Jagdsaison ist in Britisch Kolumbien zur Zeit in vollem Gange! In einem Land, in dem die meisten Männer, aber auch viele Frauen im Besitz einer Jagdlizenz sind, herrscht in diesen Tagen selbst auf abgelegenen Forstwegen von frühmorgens bis zum Einnachten ein ständiger Betrieb. Dreckige Fahrzeuge mit ortsfremden Kennzeichen schleichen langsam und ohne Licht an den Waldrändern entlang, wildentschlossene Gesichter starren in die umliegenden Büsche, und rostige Gewehrläufe versperren einem den näheren Blick ins Wageninnere. Man muss jetzt auf der Hut sein, wenn man sich in der freien Natur aufhält oder gar selbst auf der Jagd ist. Besonders, wenn man (wie ich) eine silbergraue Pelzkappe mit Dackelohren trägt und keine jener grellorangen Jägermützen, die man auch ohne Feldstecher auf einen Kilometer Entfernung hinter den Nadelbäumen aufleuchten sieht. Mein Jagdausbilder heisst Big Al, Nachbar und inzwischen guter Freund, der ausserhalb der Brunstzeit selbst über 140 kg Lebendgewicht auf die Waage bringt. Als einer von lediglich 60 Glücklichen hat er in unserem Jagdkreis die Genehmigung für einen männlichen Elch, hier ‘moosebull’ genannt, zugelost erhalten. Bereits um 5.00 Uhr starten wir, damit wir noch vor Anbruch der Morgendämmerung den Ansitz erreichen. Schon nach wenigen Minuten treffen wir nicht weit von der Hauptstrasse auf eine Elchkuh mit ihrem Kalb, die ich trotz der noch herrschenden Dunkelheit hastig fotografiere. Ohne Eile wandeln sie wie Schlafwandler in ihrem unnachahmlich staksigen Gang ausser Sichtweite. Später am Tag stossen wir auf frische Spuren von ‚moosebulls’, die hier ein Gewicht von bis zu einer Tonne erreichen können. Es sind dies tiefe Hufabdrücke im weichen Moos und im frischgefallenen Schnee, zur Abwechslung auch feindampfende, kulinarische Abschiedsgrüsse... Wir folgen diesen Phantomen tief in die Wälder hinein, doch leider ohne die geringste Chance. Denn ein Elchbulle hört es auf hunderte Meter, wenn sich ein Schweizer die Nase schneuzt. Auch die vorsichtigen Versuche, meine synthetische Skijacke aus dem Dornenwerk eines Distelstrauches zu befreien, sind dem feinen Trommelfell des Gejagten bestimmt nicht verborgen geblieben... Doch Big Al ist ein nachsichtiger Freund und nimmt mich weiterhin zur Jagd mit. Die Halbzeit der Elchsaison ist nach einer Woche um, ohne dass wir im Unterholz eine jener riesigen Ramschnasen mit Schaufel entdeckt hätten. Reichlich entschädigt wurden wir hingegen durch den Anblick anderer Tiere, denen man hier wie selbstverständlich begegnet: Hirsche, Wiesel und Hasen, alle rechtzeitig im Winterkleid, kreisende Falken und verschiedene Adlerarten, zuweilen fette Spechte, die von Tanne zu Tanne flattern, sogar einen Fischotter haben wir gesehen. Wer vorsichtig ist, braucht sich in dieser Wildnis nicht zu fürchten ! Sowohl Pumas als auch Wolf und Vielfrass sind normalerweise viel zu scheu, um Menschen anzugreifen. Im Gegenteil: Man darf sich glücklich schätzen, wenn man jemals einen von ihnen zu Gesicht bekommt. Selbst Bären weichen dem Menschen aus, wenn sie nicht völlig überrascht werden. Eine tragische Begebenheit ereignete sich vor ein paar Wochen in Fort St. James, 350 km nördlich von unserem Jagdrevier. Ein amerikanischer Jagdtourist schoss auf einen männlichen Grizzly, der laut den Zeitungsberichten die Grösse eines VW-Käfers hatte, verwundete ihn aber bloss. Sein kanadischer Jagdbegleiter machte sich deshalb allein auf die gefährliche Nachsuche. Es war dies einer der routiniertesten Guides, welcher über 35 Jahre Erfahrung als Buschmann und Jäger hatte. Als er nicht wiederkehrte, machten sich seine Freunde auf die Suche und fanden ihn schliesslich tot auf. Der verletzte Bär muss ihm aufgelauert haben und liess ihm nicht die geringste Chance. Experten sagen, ein Grizzlybär sei vermutlich das intelligenteste Tier Nordamerikas und jederzeit in der Lage, einen Verfolger zu überraschen und zu töten. An diesen Vorfall erinnerte ich mich auf der Elchjagd mit Gänsehaut, als ich unbewaffnet durch die moosigen Wälder Kanadas stapfte und immer lauter nach Big Al rief, der mit seinem Gewehr seit geraumer Zeit untergetaucht war. |
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