MARATHON-LAUF |
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Nun laufen sie wieder! Die Innenstädte, auch Citys im deutschsprachigen Raum genannt, werden gesperrt, meistens geschieht dies sonntags, um den ökonomischen Ablauf der Stadt nicht zu stören. Das zumindest ist löblich. So laufen sie bei Wind und Wetter, bei Regen und Sonnenhitze, Sturm und anderen Widrigkeiten wie Smog und ähnliche Freiheiten der Natur. So war es auch mal wieder im April in Zürich. Es war ein ausgesprochen kaltes Laufwetter, regnerisch und dazu noch ein unangenehm eisiger Wind, kurz ein Wetter, bei dem man eigentlich keine Veranlassung hat, freiwillig über vierzig Kilometer zu laufen. Nun der Schreiber dieser Zeilen wollte herausfinden, ob die Teilnehmer des Marathon–Laufes auch wüssten, warum der Marathon-Lauf diesen Namen trage. Nun, ich fragte die ersten Teilnehmer, doch statt einer Antwort erhielt ich die barsche Zurechtweisung im Stil von „Dumme Frage - haben Sie nichts anderes zu tun ?" Ein anderer meinte, dass es so was auch in Deutschlang gäbe. Das war zwar überhaupt nicht meine FRAGE gewesen, aber zeigte mir, dass meine akzentfreie deutsche Aussprache für meine weiteren Bemühungen, etwas herauszufinden, eher hinderlich als fördernd war. Also wechselte ich Sprache und Herkunft. Englisch sprechend mit deutschen Brocken versetzt war ich nun ein Tourist aus einer Weltgegend, wo man wirklich davon ausgehen konnte, dass man dort noch nie etwas von einem Marathon-Lauf gehört hatte: Den Christmas Island. Der Ton der so Befragten änderte sich schlagartig. Einige meinten, das sei ein Scherz, aber ,no, es gehöre doch zu Australien, aha, war die Antwort, Pazifik, oh no, Indischer Ocean, spätestens dann war der geographische Dialog beendet, und leuchtende Augen oder skeptische Blicke waren die Folge. Und dann wenn also die klimatische Diskussion einsetzte, das es doch auch den christlichen Inseln, so verstand man das – viel wärmer wäre; oh yes, , ausnutzend fragte und was bedeutet Marathon-Lauf? Die Antwort entsprach dem Zwinglianischen der merkantil geprägten Stadt, ankommen natürlich. Aber dann könnte man doch mit dem Auto fahren, zumal bei diesem terrible weather, gab ich eher praktisch überlegend als lakonisch tönend zur Antwort. Ein unverständliches Kopfschüttelen verbunden mit der Bemerkung, dass alle aus Übersee so reden würden, handelte ich mir ein, und der Teilnehmer verschwand grusslos hin zu seinem Lauf. - Eine Lady in sehr blond im Haar und rosa im Tenue gab mir mit missionarischem Eifer zu verstehen, dass dies ein Lauf für die Umwelt sei und ich als Insulaner sollte ein solches Anliegen eigentlich verstehen (der Vorwurf, das ich nicht von selbst auf dies naheliegende Argument gekommen war, war unüberhörbar!). Well, die Umwelt sei uns schon sehr wichtig, aber warum man dafür in Europa bei kaltem Wetter und Regen laufen müsse und so die Umwelt schützen könne, sei mir nicht ganz klar, ob sie das erklären könne? Das abrupte Abwenden dieser Umwelt-Missionarin von meiner Person zeigte mir, dass ich ein unheilbarer Umweltignorant sei und dazu noch, fast ein Schimpfwort, ein Tourist. - Mir fiel auf, dass bei diesem Lauf zahlreiche ältere Herren, durchaus jenseits des Pensionsalter mitliefen, oder besser mit laufen wollten, denn noch befanden wir uns ja knappe eine Stunde vor dem Beginn des offiziellen Marathon-Laufes. In der Hoffnung, dass jene älteren Semester durchaus noch am ehesten über Geschichtswissen verfügen konnten, fragte ich eine Gruppe dieser Teilnehmer. Nach der üblichen geographischen Vorstellung, ah Sie kommen von den religiösen Inseln, stellte ich meine Frage an dieser mutigen Helden im Regen. Nach kurzer Besprechung untereinander im landesüblichen Dialekt und mir als Fremden die demokratischen Gepflogenheiten, wie man hier auf eine Frage reagiert, demonstrierend, wurde mir dann im gefärbten Hochdeutsch mitgeteilt, dass dies, der Marathon-Lauf gut für die Potenz sei, käme aus dem germanischen Fruchtbarkeitsritual. Aha, mir völlig neu das auch Germanen schon Fruchtbarkeitsrituale kannten, lösste meine Verblüffung, Erheiterung bei den Herren aus, und man gab mir zu verstehen, Marathon sei quasi die Bewegungsalternative zu Viagra. Ein erneutes, noch ungläubigeres aha entfuhr mir und freundlich verabschiedend überliess ich diesen Altherrenclub ihren Illusionen. Ich unternahm noch einige Versuche und beschloss dann diese ebenso kalte wie unwürdige Szene zu verlassen und mir am heimischen Schreibtisch bei gutem Kaffee vorzustellen, welche grosse Bedeutung doch Marathon für Europa hatte. Nicht einer hatte Bedeutung und Ursache des Marathon-Laufes gewusst. Zu beklagen, zu ärgerlich? Eher, dass sich Europa seiner eigenen Tugend nicht mehr erinnert. Nun hier ein historischer Schnellkurs, ein Fastwissen für all jene die doch interessieret sind, warum es zum Marathon-Lauf kam: 491 v. Chr. landeten die Perser mit ihren Schiffen und 90000 Mann an Soldaten bei Marathon, und wollten sich Athen und andere griechische Städte einverleiben. Die Griechen und Athener besiegten die Perser trotz ihrer erdrückenden Übermacht an Waffen und Männern. Soweit die beweisbare Historie. Die Legende, die Erzählung nun will es, dass ein Bote von Marathon nach Athen (42 km) lief und dort den Athenern den Sieg über die Perser verkündete und dann tot zusammenbrach. (Dramaturgisch glänzend gemacht, dass Hochgefühl des Sieges wird vermischt mit dem menschlich tragischen Einzelschicksal des Überbringers, das zum Hochgefühl führt. So eine geniale dramaturgische Leistung muss ein zeitgenössischer Autor unserer Tage erst einmal herstellen können!) Interessant ist weiter das dieser Marathon-Lauf einer der grossen Höhepunkte bei den Olympischen Sommerspielen ist - nach wie vor. Und das sich dieser Lauf über 2500 Jahre gehalten hat und er – man verzeihe mir diese Respektlosigkeit - zu Gross-Events verkommen ist, sei es in New York, London, San Franzisko usw, und der Sieger nicht selten eine hohe Geldsumme erhält. Und ironischerweise wissen die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer nichts vom Ursprung dieses Laufes, und die Marathon-Global-Players, die dies inszenieren ebenso wenig. Lassen wir sie also laufen, teilweise laufen sie wohl auch gedankenlos - auch dies ist ja in einer Demokratie erlaubt (die nach Ibsen die Diktatur der Masse ist...) Respektvoll sollten wir aber an den Boten denken, der vor über 2500 Jahren diesen Lauf begründet hat und der mit Sport nichts zu tun hatte, sondern Ausdruck des Willens war. Paul-Bernhard Berghorn Zürich , April 2006
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