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 December 2009 - Nr. 12

The best of Seasons from Echo Germanica

Marianne Schmidt

Aus dem Ruf, "Wir sind das Volk", wurde "Wir sind ein Volk". Die friedliche Revolution, der Aufbruch der Menschen in der DDR.

Millionen Menschen haben ihre ganz persönliche Erinnerung an den 9. November 1989. Ich spüre noch heute den Freudentaumel. Er ist nicht gewichen. Warum?

Oft erwache ich und denke, es war ja nur ein Traum. Aber dann fallen mir meine Freunde ein, die ich seit dem Fall der Mauer kennengelernt habe, und ich weiß, aus dem Traum der Hoffnung ist Realität geworden.

Meine Erinnerungen wandern zurück in das Jahr 1989:

Seit Anfang Oktober erfuhren wir durch die Medien über den Aufbruch des Volkes der DDR. Züge der Deutschen Reichsbahn bringen ausreisewillige DDR-Bürger über Prag nach Ungarn. Immer wieder versuchten die Flüchtlinge in die überfüllte Bundesdeutsche Botschaft in Ungarn zu gelangen. Inzwischen werden die visafreien Einreisen in die CSSR unmöglich gemacht.

Die Bürger der DDR finden sich jeden Montag zu friedlichen Demonstrationen in Dresden, Leipzig, Berlin und anderswo zusammen.

Einen Monat später, der Novembernebel bedeckt das Laub, die politischen Unruhen im anderen Teil Deutschlands lassen mich frieren. Meine Gedanken wandern schon ein wenig zum bevorstehenden Weihnachtsfest. Sollte ich mit dem Lebkuchenbacken schon beginnen? Es ist ja erst der 9. November.

Merkwürdige, unverständliche Nachrichten lassen mich aufhorchen, unruhig werden. Ach was, gute Lebkuchen müssen zeitig gebacken werden. Ich stelle das Backzeug bereit, tue etwas Ungewöhnliches. Ich hole mir den Fernseher in die Küche, um beim Backen den Apparat in Hörweite zu haben.

Die Nachrichten sind fast schon vorbei, als ich das Gerät einschalte, und höre nur noch den Satz des Nachrichtensprechers: "Wir halten sie bei Neuigkeiten auf dem Laufenden."

Was hatte das zu bedeuten? Erst drei Stunden später erfuhr ich, dass ganz Deutschland auf den Beinen ist. Ich hatte beim Backen übersehen, dass das Fernsehen in Schrifttiteln mitgeteilt hat, dass sich die Grenzen geöffnet haben.

Ich setzte mich ins Auto und fuhr zur Bornholmer Brücke. Ich musste wissen, ob die Fernseh-Sonderberichte stimmten. Schon bald strömten mir Menschenmengen entgegen und alles rief immer wieder: "Das ist der helle Wahnsinn." Die Autos hupten, die Menschen winkten einander zu. Ich traf viele Freunde und Bekannte. Sie erzählten mir, was geschehen war.

Die Grenzen offen.

Ich konnte es nicht fassen. Irgendjemand nahm mich an die Hand und sagte: "Komm lass uns rüber gehen." Jeder jubelte jedem zu, und plötzlich stand ich wirklich im Ostteil unserer Stadt.

Mein Gott, wie viele Jahrzehnte war es her, als ich das letzte Mal dort war? Das kann doch alles nicht wahr sein! Aber ein Blick in einen "Obstladen" sagte mir, ja, du bist in Ostberlin. Da waren nur Äpfel in den Obstkisten. Keine Orangen, keine Bananen, keine Zitronen. Die Häuser, die ich sah, waren zerfallen, die Straßen leer. Die Menschen waren im Westteil unserer Stadt.

Es war schon mitten in der Nacht, als wir zurückgingen. Auf der Bornholmer Brücke waren noch immer Menschenströme im Freudentaumel. Tränen der Freude auf fast jedem Gesicht. Neben mir ging ein junger Mann, fast ein Kind noch, der immer wieder weinte und schrie: "Mein Gott, ich bin im Westen, ohne verfolgt zu werden, ohne Gefängnis, ohne erschossen zu werden." Ich versuchte, ihn zu trösten, nahm ihn mit zu meinen Freunden am Ende der Brücke.

Jubel über Jubel. Die Stunden vergingen, mir wurde kalt. Völlig durchgefroren fuhr ich nach Hause, ins Bett, um mich aufzuwärmen. Zehn Minuten später war ich wieder auf den Beinen, diesmal wärmer angezogen, zog von neuem los. Nichts hielt mich zu Hause. Ich hatte Angst, es könnte gleich wieder vorbei sein.

Die Mauer blieb für immer geöffnet. Und ich genieße es, auch wenn ich jetzt vierhundertfünfzig Mark weniger in der Lohntüte habe, auch wenn vieles schlechter geworden ist. Ich habe viele Freunde gefunden, in ganz Deutschland.

Schade, dass es noch Menschen gibt, die eine Mauer im Kopf haben. Aber die kann und muss jeder selbst abbauen.

Marianne Schmidt

 
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Marianne Schmidt, wohnhaft in Berlin, Deutschland berichtet über Kunst, Unterhaltung, Kultur, Reise und Politik.

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