Zunächst läuft man daran vorbei, ist geblendet von der
spätherbstlichen Nachmittagssonne, die auf den Wellen des
Zürichsees wärmt. Die unaufdringliche Fassade dieser alten in
gelben Sandstein gebauten Villa mit dem Schmiedeeisernen Balkon
im zweiten Stock ist diskret abgeschirmt durch sehr alte und
hohe Birken. So liegt sie ruhig am Seeufer, etwas abseits vom
Strom der Spaziergänger, so als sei sie weise und bescheiden,
nicht aufdringlich. Liegt sie doch zentral zwischen Bellevue,
einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt der Stadt und dem Lake Site,
dort wo an Werktagen des Morgens sich Literaten und Schauspieler
mit ihren Textbüchern einfinden und des Sonntags junge
Kleinfamilien und alte Sippen des europäischen Südens, die vor
zwanzig Jahren und noch länger in die Schweiz eingewandert sind,
es zu Wohlstand und Ansehen gebracht haben, flanieren. Im
weiteren Hintergrund des Gebäudes liegt eine weitere
Verkehrsachse, die Bellerive Strasse. Daher der Name, doch diese
Villa lässt die Strasse rasch vergessen. Nimmt die Strasse als
Namen doch nur auf, was dies Museum täglich sieht, eine ruhige
Aussicht weit über den See, hin zum anderen Ufer, wo die Wälder
sich auf den leicht ansteigenden Berghügeln ausbreiten.
Vergessen wir also den Verkehr, man hört ihn nicht, wenn der
Besucher den kleinen Vorpark betritt, der fast ein wenig
englisch wirkt, Rasen, Bäume, Kiesweg, und der Besucher der die
schwere Türe aus kunstvoll geschmiedetem Eisen und starkem Glas
hinter sich schliesst.
1931 wurde sie von dem Zürcher Architekten Erhard Gull erbaut
und gestaltet für den Textilfabrikanten Julius Bloch. Knapp vier
Jahrzehnte später, genau am 1. November 1968 öffneten sich die
Pforten nun für die Öffentlichkeit, aus der privaten
grossbürgerlichen Sphäre war die Villa hinausgetreten, hin zum
pittoresken Museum mit der Schau von internationalen Exponaten.
Immer wieder gibt es an diesem Seeufer und in dieser Stadt
grosse und selbstlose Kunstliebhaber. So hat Heidi Weber dem
bedeutenden Schweizer Architekt Charles Le Corbusier in ihrem
privaten Park unweit unseres Museums, die Möglichkeit gegeben,
ein Haus nach seinen Vorstellungen zu errichten.
Es wurde sein letztes, architektonisch vollendetes Projekt,
welches er 1967 fertigstellte. Es ist heute das Le
Corbusier-Zentrum.
Und beherbergt nicht am gleichen Seeufer, ebenfalls in einer
alten Villa, die Firma JACOB SUCHARD ein originelles
Kaffee-Museum? Ja es ist ein reizender Ort, wo der interessierte
Besucher nicht nur die herrlichsten Objekte der Kaffee-und
Schokoladentassen betrachten, sondern auch eine kleine aber
exquisite Bibliothek mit alten Folianten über den Kaffee und
seine Geschichte bewundernd benutzen kann. Das dort auch
Ausstellungen stattfinden ist selbstredend. Über diese kleine
Villa zu berichten ist eine eigene Geschichte wert.
Kehren wir zu den Mäzenen
zurück. Denn eingebunden in dieses Mäzenatentum, dieser
Tradition, war auch der Zürcher Dr. Hans Bodmer, der 1930 dem
damals existenziell und künstlerisch angeschlagenem Hermann
Hesse ein Haus oberhalb von Montagnola –die Casa Hesse – erbauen
liess und der Schriftsteller dort auf Lebzeiten kostenlos wohnen
konnte.
Diese Art des Mäzenatentum ist heute verschwunden, der
Selbstlosigkeit und
Kunstliebhaberei ist ökonomisches Kalkül, berechnende PR und
absichtsvolle, zum eignen Nutzen bringende Unterstützung der
Kunst gewichen.
Grossindustrie, Konzerne, sie degradieren letztendlich die Kunst
zur gesellschaftlichen Alibifunktion zum angenehmen,
pseudogebildeten Ambiente.- Provokant gefragt: was unterscheidet
heute einen Künstler und ein Kunstwerk von der ebenfalls gut
gemangten und gut verkauften Nobelautomarke, oder einem
hochwertigen Kleidungsstück aus den Modehauptstädten?- Nichts.
Das eine wie das Andere ist vergänglich oder als Geldanlage für
einen späteren Zeitpunkt von Interesse. Kurz, das moderne“
Mäzenatentum“ fördert eben nicht die Kunst, sondern eine andere
Form der Geldanlagemöglichkeiten, der verkaufsträchtigen
Einzelstück-Produktion. Der Künstler gerät so zum werbewirksamen
PR-Medium.
Doch zurück zu unserem Besuch des Bellerive Museums: wir
betreten ein kleines Entree mit rotem Kachelboden und dann die
hundert Quadratmeter grosse Halle mit ihrem Kreuzgratgewölbe,
sehen die grosszügig geschwungene Treppenanlage aus gelb-braun
marmorierten Travertin.
Fabulieren wir einmal: war es früher der grosse Empfangsraum mit
den meterhohen Fenstern zum See hin, in dem Seidenfabrikanten
und Modeschöpfer begrüsst wurden?
Von der Halle führen zwei Räume zu beiden Seiten weg, dort wohl
zum dinieren, wo angeregt Konversation gehalten wurde und die
dortigen Gäste der Dame des Hauses artige Komplimente machten.
Im andren, vielleicht der Rauchersalon, wo die sich die Stirn
runzelt, man sorgenvoll ins restliche Europa blickte, sich
fragte, wie die Geschäfte sich angesichts der unklaren Lage in
den Nachbarländern entwickeln würden.- Und heute: heute stehen
dort mobile Glasvitrinen mit römischen und syrischen Gefässen
aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert oder persische
Gefässchen des 9./10. Jahrhundert mit reichem Dekor von Blatt-Kreis- und
Spiralmustern überzogen. Aber auch junge Produkte sind zu
bewundern: Flacons, Stengelgläser aus der Wiener Glasmanufaktur
Lobmeyer. Ebenso einmalige Artefakte aus gleichem Material
englischer Herkunft, die durch ihre Schlichtheit beeindrucken.
Doch die kürzeste kunstgeschichtlichste Epoche ist das
Hauptgebiet des Museums: der Jugendstil, diese Art des
lustvollen fabulieren, des sinnlichen Gestaltens, diese
kunstvolle, kleinmotivische Melodik, diese weiche Ornamentik.
Ja, diese Kunst gehört auf sinnfällige Weise in diese bauliche
Umgebung, und wenn wir dort hindurchgehen, die kostbaren
Ziergefässe von Emile Galle`, Tiffany und Loetz betrachten,
ebenso das Besteck aus Silber von Henry van der Velde, hören wie
dann nicht auch Claude Debussy`s „Image“ und die „ Preludes“?
Diese Villa gehörte einem Textilfabrikanten. Ist es daher nicht
folgerichtig, dass an Vielfalt und Umfang die Textilsammlung des
Museums herausragt. Findet man dort doch eine repräsentative
Kollektion koptisch, islamischer Gewebe, Fragmente in
leuchtenden Farben mit teilweise figürlichen Darstellungen der
Präkolumbischen Kulturen, aber auch Umschlagtücher aus
Indonesien und Ozeanien. Doch auch Europa, das klassische
Europa, ist im wahrsten Sinne des Wortes prächtig vertreten. So
gibt es zahlreiche gewebte und bedruckte Stoffe des 17. Bis 20.
Jahrhundert aus Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und
der Schweiz. Zu sehen sind so u.a. die Entwürfe des William
Morris, die seidenen Batiktücher des Holländers Christian
Lebeau. Und wieder kommen die Höhepunkte dieser alten
Menschheitskultur aus dem Jugendstil: der kostbare Wandbehang
mit Applikationsstickereien „ Die Engelwache“ (1893) von Henry
van der Velde, sein Schlüsselwerk, welches den Wendepunkt bei
ihm markiert, von der Malerei hin zur angewandten Kunst.
Das Museum Bellerive ist ein Haus der grossen Kunst im kleinen
Exponat, fern der teilweise lärmenden Grossmuseen mit Presse und
Sicherheitsdienst. Diese Villa am See hat sich das still
träumerische der Kunstdarstellung bewahrt, wo eine intime
Aufnahme mit dem Kunstwerk ungestört geschehen kann. Es ist mehr
als nur einen Besuch wert, und sei es „nur“ um im Spätherbst auf
den See zu schauen umgeben von kleinformatigen grossartigen
Kunstwerken.
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