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 March 2010 - Nr. 3
Happy Easter - Frohe Ostern
Paul Bernhard Berghorn

Zunächst läuft man daran vorbei, ist geblendet von der spätherbstlichen Nachmittagssonne, die auf den Wellen des Zürichsees wärmt. Die unaufdringliche Fassade dieser alten in gelben Sandstein gebauten Villa mit dem Schmiedeeisernen Balkon im zweiten Stock ist diskret abgeschirmt durch sehr alte und hohe Birken. So liegt sie ruhig am Seeufer, etwas abseits vom Strom der Spaziergänger, so als sei sie weise und bescheiden, nicht aufdringlich. Liegt sie doch zentral zwischen Bellevue, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt der Stadt und dem Lake Site, dort wo an Werktagen des Morgens sich Literaten und Schauspieler mit ihren Textbüchern einfinden und des Sonntags junge Kleinfamilien und alte Sippen des europäischen Südens, die vor zwanzig Jahren und noch länger in die Schweiz eingewandert sind, es zu Wohlstand und Ansehen gebracht haben, flanieren. Im weiteren Hintergrund des Gebäudes liegt eine weitere Verkehrsachse, die Bellerive Strasse. Daher der Name, doch diese Villa lässt die Strasse rasch vergessen. Nimmt die Strasse als Namen doch nur auf, was dies Museum täglich sieht, eine ruhige Aussicht weit über den See, hin zum anderen Ufer, wo die Wälder sich auf den leicht ansteigenden Berghügeln ausbreiten.

Vergessen wir also den Verkehr, man hört ihn nicht, wenn der Besucher den kleinen Vorpark betritt, der fast ein wenig englisch wirkt, Rasen, Bäume, Kiesweg, und der Besucher der die schwere Türe aus kunstvoll geschmiedetem Eisen und starkem Glas hinter sich schliesst.

1931 wurde sie von dem Zürcher Architekten Erhard Gull erbaut und gestaltet für den Textilfabrikanten Julius Bloch. Knapp vier Jahrzehnte später, genau am 1. November 1968 öffneten sich die Pforten nun für die Öffentlichkeit, aus der privaten grossbürgerlichen Sphäre war die Villa hinausgetreten, hin zum pittoresken Museum mit der Schau von internationalen Exponaten.

Immer wieder gibt es an diesem Seeufer und in dieser Stadt grosse und selbstlose Kunstliebhaber. So hat Heidi Weber dem bedeutenden Schweizer Architekt Charles Le Corbusier in ihrem privaten Park unweit unseres Museums, die Möglichkeit gegeben, ein Haus nach seinen Vorstellungen zu errichten.

Es wurde sein letztes, architektonisch vollendetes Projekt, welches er 1967 fertigstellte. Es ist heute das Le Corbusier-Zentrum.

Und beherbergt nicht am gleichen Seeufer, ebenfalls in einer alten Villa, die Firma JACOB SUCHARD ein originelles Kaffee-Museum? Ja es ist ein reizender Ort, wo der interessierte Besucher nicht nur die herrlichsten Objekte der Kaffee-und Schokoladentassen betrachten, sondern auch eine kleine aber exquisite Bibliothek mit alten Folianten über den Kaffee und seine Geschichte bewundernd benutzen kann. Das dort auch Ausstellungen stattfinden ist selbstredend. Über diese kleine Villa zu berichten ist eine eigene Geschichte wert.

Kehren wir zu den Mäzenen zurück. Denn eingebunden in dieses Mäzenatentum, dieser Tradition, war auch der Zürcher Dr. Hans Bodmer, der 1930 dem damals existenziell und künstlerisch angeschlagenem Hermann Hesse ein Haus oberhalb von Montagnola –die Casa Hesse – erbauen liess und der Schriftsteller dort auf Lebzeiten kostenlos wohnen konnte.

Diese Art des Mäzenatentum ist heute verschwunden, der Selbstlosigkeit und Kunstliebhaberei ist ökonomisches Kalkül, berechnende PR und absichtsvolle, zum eignen Nutzen bringende Unterstützung der Kunst gewichen.

Grossindustrie, Konzerne, sie degradieren letztendlich die Kunst zur gesellschaftlichen Alibifunktion zum angenehmen, pseudogebildeten Ambiente.- Provokant gefragt: was unterscheidet heute einen Künstler und ein Kunstwerk von der ebenfalls gut gemangten und gut verkauften Nobelautomarke, oder einem hochwertigen Kleidungsstück aus den Modehauptstädten?- Nichts. Das eine wie das Andere ist vergänglich oder als Geldanlage für einen späteren Zeitpunkt von Interesse. Kurz, das moderne“ Mäzenatentum“ fördert eben nicht die Kunst, sondern eine andere Form der Geldanlagemöglichkeiten, der verkaufsträchtigen Einzelstück-Produktion. Der Künstler gerät so zum werbewirksamen PR-Medium.

Doch zurück zu unserem Besuch des Bellerive Museums: wir betreten ein kleines Entree mit rotem Kachelboden und dann die hundert Quadratmeter grosse Halle mit ihrem Kreuzgratgewölbe, sehen die grosszügig geschwungene Treppenanlage aus gelb-braun marmorierten Travertin.

Fabulieren wir einmal: war es früher der grosse Empfangsraum mit den meterhohen Fenstern zum See hin, in dem Seidenfabrikanten und Modeschöpfer begrüsst wurden?

Von der Halle führen zwei Räume zu beiden Seiten weg, dort wohl zum dinieren, wo angeregt Konversation gehalten wurde und die dortigen Gäste der Dame des Hauses artige Komplimente machten. Im andren, vielleicht der Rauchersalon, wo die sich die Stirn runzelt, man sorgenvoll ins restliche Europa blickte, sich fragte, wie die Geschäfte sich angesichts der unklaren Lage in den Nachbarländern entwickeln würden.- Und heute: heute stehen dort mobile Glasvitrinen mit römischen und syrischen Gefässen aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert oder persische Gefässchen des 9./10. Jahrhundert mit reichem Dekor von Blatt-Kreis- und Spiralmustern überzogen. Aber auch junge Produkte sind zu bewundern: Flacons, Stengelgläser aus der Wiener Glasmanufaktur Lobmeyer. Ebenso einmalige Artefakte aus gleichem Material englischer Herkunft, die durch ihre Schlichtheit beeindrucken.

Doch die kürzeste kunstgeschichtlichste Epoche ist das Hauptgebiet des Museums: der Jugendstil, diese Art des lustvollen fabulieren, des sinnlichen Gestaltens, diese kunstvolle, kleinmotivische Melodik, diese weiche Ornamentik. Ja, diese Kunst gehört auf sinnfällige Weise in diese bauliche Umgebung, und wenn wir dort hindurchgehen, die kostbaren Ziergefässe von Emile Galle`, Tiffany und Loetz betrachten, ebenso das Besteck aus Silber von Henry van der Velde, hören wie dann nicht auch Claude Debussy`s „Image“ und die „ Preludes“?

Diese Villa gehörte einem Textilfabrikanten. Ist es daher nicht folgerichtig, dass an Vielfalt und Umfang die Textilsammlung des Museums herausragt. Findet man dort doch eine repräsentative Kollektion koptisch, islamischer Gewebe, Fragmente in leuchtenden Farben mit teilweise figürlichen Darstellungen der Präkolumbischen Kulturen, aber auch Umschlagtücher aus Indonesien und Ozeanien. Doch auch Europa, das klassische Europa, ist im wahrsten Sinne des Wortes prächtig vertreten. So gibt es zahlreiche gewebte und bedruckte Stoffe des 17. Bis 20. Jahrhundert aus Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und der Schweiz. Zu sehen sind so u.a. die Entwürfe des William Morris, die seidenen Batiktücher des Holländers Christian Lebeau. Und wieder kommen die Höhepunkte dieser alten Menschheitskultur aus dem Jugendstil: der kostbare Wandbehang mit Applikationsstickereien „ Die Engelwache“ (1893) von Henry van der Velde, sein Schlüsselwerk, welches den Wendepunkt bei ihm markiert, von der Malerei hin zur angewandten Kunst.

Das Museum Bellerive ist ein Haus der grossen Kunst im kleinen Exponat, fern der teilweise lärmenden Grossmuseen mit Presse und Sicherheitsdienst. Diese Villa am See hat sich das still träumerische der Kunstdarstellung bewahrt, wo eine intime Aufnahme mit dem Kunstwerk ungestört geschehen kann. Es ist mehr als nur einen Besuch wert, und sei es „nur“ um im Spätherbst auf den See zu schauen umgeben von kleinformatigen grossartigen Kunstwerken.

 
Paul Bernhard Berghorn berichtet über Philosophie, Betrachtungen, Reisen, Kunst, Malerei, Buchbeschreibungen

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