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November 2011 - Nr. 11

Seit am 23. Juni 2000 der Deutsche Pioniertag vom Ontario Parlament, durch die Bemühungen des PC-Abgeordneten Wayne Wettlaufer gesetzlich verankert wurde, wird dieser Tag im großen Rahmen im Rathhaus von Kitchener, dem früheren Berlin und Zentrum der deutschen Kultur in Ontario, jährlich gefeiert. Aber auch in Toronto findet schon seit einigen Jahren eine entsprechende Veranstaltung statt. Wie auf den Bildern zu sehen ist, handelt es sich um eine Fahnenzeremonie vor dem Parlamentsgebäude von Ontario, im Queen’s Park, bei welcher namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft zu Wort kommen um an den Beitrag, den Einwanderer aus dem deutschsprachigen Kulturkreis zur Entwicklung Kanadas geleistet haben, zu erinnern. Die deutschstämmige Bevölkerung Torontos und Umgebung ist jedes Jahr aufgerufen, sich zahlreich daran zu beteiligen.

Es dürfte nicht schwerfallen sich für diesen Tag zu begeistern, wenn man die Vergangenheit vor Augen hat - also etwas von der Geschichte kennt. Leider findet diese in den Geschichtsbüchern der Schulen und Büchereien immer noch keinen Platz - eine Auswirkung der negativen Propaganda, die im ersten Weltkrieg begann. Es liegt deshalb an uns allein, durch private und öffentliche Initiative, dieses Geschichtsbild zu ändern. Dazu gehört, daß wir die Daten der Entwicklung kennen. So zum Beispiel, daß die deutschkanadische Geschichte in Ontario mehr als 200 Jahre zurück reicht, und daß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 70% der Bevölkerung deutschstämmig war. Auch, daß das heutige Ontario vormals in vier Distrikte aufgeteilt war, mit den Namen Lueneburg, Mecklenburg, Nassau und Hessen. Noch heute sind wir nach der englischen und französischen die drittgrößte Volksgruppe in Kanada. Die Errungenschaften der Deutschstämmigen sind überwältigend, aber zum größten Teil unbekannt. Jedoch geben uns Städte und Dörfer mit deutschen Namen sowie die Inschriften auf alten Grabsteinen einen Hinweis.

Zu einer Zeit, da andere ethnische Gruppen hierzulande immer größere Beachtung finden, sollte es interessieren, wenn kanadische Autoren wichtige Aspekte des deutschen Beitrags neu entdecken und versuchen, die Geschichts-schreibung zu revidieren. So der Autor Robert M. MacIntosh mit seinem Buch „Earliest Toronto”, welches 2006 erschien und in welchem er, zum Beispiel, den durch unzählige Namensgebungen vielfach geehrten damaligen Governeur John Graves Simcoe mit einem Mann namens William Berczy vergleicht und Letzterem wesentlichl mehr Bedeutung zumißt als dem Governeur Simcoe. Wer aber ist William Berczy? Sein deutscher Name lautet Johann Albrecht Ulrich Moll und er wurde 1744 in Wallerstein nahe der Stadt Nördlingen geboren. Woher kommt dieser seltsam klingende Name? Es wird berichtet, daß er diesen während einem Aufenthalt in Ungarn erhielt, und daß es die Übersetzung seines Vornamens Albrecht sei. Das blieb an ihm hängen und so kennt man ihn in Kanada als William Berczy. Er wurde inzwischen als ein vielseitiges Genie erkannt.

Robert MacIntosh griff in seinen Forschungen auch auf die Arbeit des deutschstämmigen Historikers John Andre zurück, der mit seinen beiden Büchern „William Berczy, Co-Founder of Toronto” (1967) und „Infant Toronto as Simcoe’s Folly”(1971) für große Aufregung unter der hiesigen Historikerschaft sorgte. Auf der Umschlagseite seines ersten Werkes können wir folgendes lesen: „Berczy shares the honour with Dorchester and Simcoe of being the co-founder of a mighty metropolis.
Whereas Dorchester produced the first plan on paper, and Simcoe actually erected a primitive fort near the proposed townsite, Berczy created the first roads and buildings within the town itself. Berczy also built Yonge Street, founded Markham Township, designed the first architecturally notable houses and the Don River Bridge. From his earnings as an artist - portrait painter, this forgotten hero actually paid for a substantial part of Toronto’s first local improvements”. Auf Deutsch: “Berczy teilt die Ehre mit Dorchester (Vorgänger von Simcoe) als Mitbegründer einer mächtigen Metropole. Während Dorchester den ersten Plan zu Papier brachte und Simcoe ein primitives Fort nahe der vorgesehenen Stadt erstellte, baute Berczy die ersten Straßen und Gebäude innerhalb des Ortes selbst. Berczy hat auch Yonge Street (längste Straße Torontos) gebaut, begründete den Markham Distrikt und entwarf die ersten architektonisch beachtenswerten Häuser und die Don River Brücke. Von seinen Einnahmen als Künstler - Portrait Maler, zahlte dieser vergessene Held auch noch für einen wesentlichen Teil von Torontos Verbesserungen.” Damit stellt John Andre die gängige Geschichtsschreibung praktisch auf den Kopf.

Es sollte noch erwähnt werden, daß Moll-Berczy von Simcoe um das von seinen Siedlern urbar gemachte Land betrogen wurde. Er ging nach England um sich sein Recht zu erkämpfen. Als er in New York weitere Hilfe suchte, starb er eines mysteriösen Todes. Sein Andenken und das seiner Pioniere wird jedoch alljährlich im Juni in der Stadt Unionville, nördlich Torontos, mit einem Siedlerfest und einer Parade gefeiert. Im benachbarten Markham haben die Nachkommen der Moll-Berczy Siedler eine Partnerschaft mit der deutschen Stadt Nördlingen geschlossen, die schon zu mehreren gegenseitigen offiziellen Besuchen geführt hat. Weitere Informationen über die mehr als 300jährige Geschichte deutschstämmiger Siedler in Kanada geben auch die Jahrbücher der Historischen Gesellschaft von Mecklenburg Ober-Kanada. Hat man sich diesbezüglich informiert, so könnte sich ein gewisser Stolz auf unsere Herkunft entwickeln, der sich auch auf Kinder und Kindeskinder übertragen ließe - wozu öffentliche Bekundungen bei Feierlichkeiten, wie dem Deutschen Pioniertag, eine ideale Gelegenheit bieten.

Christian Jürgen Klein
Historische Gesellschaft von Mecklenburg Ober-Kanada

 
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