Seit am 23. Juni 2000 der Deutsche Pioniertag vom Ontario
Parlament, durch die Bemühungen des PC-Abgeordneten Wayne
Wettlaufer gesetzlich verankert wurde, wird dieser Tag im großen
Rahmen im Rathhaus von Kitchener, dem früheren Berlin und
Zentrum der deutschen Kultur in Ontario, jährlich gefeiert. Aber
auch in Toronto findet schon seit einigen Jahren eine
entsprechende Veranstaltung statt. Wie auf den Bildern zu sehen
ist, handelt es sich um eine Fahnenzeremonie vor dem
Parlamentsgebäude von Ontario, im Queen’s Park, bei welcher
namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft zu Wort
kommen um an den Beitrag, den Einwanderer aus dem
deutschsprachigen Kulturkreis zur Entwicklung Kanadas geleistet
haben, zu erinnern. Die deutschstämmige Bevölkerung Torontos und
Umgebung ist jedes Jahr aufgerufen, sich zahlreich daran zu
beteiligen.
Es dürfte nicht schwerfallen sich für diesen Tag zu begeistern,
wenn man die Vergangenheit vor Augen hat - also etwas von der
Geschichte kennt. Leider findet diese in den Geschichtsbüchern
der Schulen und Büchereien immer noch keinen Platz - eine
Auswirkung der negativen Propaganda, die im ersten Weltkrieg
begann. Es liegt deshalb an uns allein, durch private und
öffentliche Initiative, dieses Geschichtsbild zu ändern. Dazu
gehört, daß wir die Daten der Entwicklung kennen. So zum
Beispiel, daß die deutschkanadische Geschichte in Ontario mehr
als 200 Jahre zurück reicht, und daß in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts 70% der Bevölkerung deutschstämmig war. Auch,
daß das heutige Ontario vormals in vier Distrikte aufgeteilt
war, mit den Namen Lueneburg, Mecklenburg, Nassau und Hessen.
Noch heute sind wir nach der englischen und französischen die
drittgrößte Volksgruppe in Kanada. Die Errungenschaften der
Deutschstämmigen sind überwältigend, aber zum größten Teil
unbekannt. Jedoch geben uns Städte und Dörfer mit deutschen
Namen sowie die Inschriften auf alten Grabsteinen einen Hinweis.
Zu einer Zeit, da andere ethnische Gruppen hierzulande immer
größere Beachtung finden, sollte es interessieren, wenn
kanadische Autoren wichtige Aspekte des deutschen Beitrags neu
entdecken und versuchen, die Geschichts-schreibung zu
revidieren. So der Autor Robert M. MacIntosh mit seinem Buch
„Earliest Toronto”, welches 2006 erschien und in welchem er, zum
Beispiel, den durch unzählige Namensgebungen vielfach geehrten
damaligen Governeur John Graves Simcoe mit einem Mann namens
William Berczy vergleicht und Letzterem wesentlichl mehr
Bedeutung zumißt als dem Governeur Simcoe. Wer aber ist William
Berczy? Sein deutscher Name lautet Johann Albrecht Ulrich Moll
und er wurde 1744 in Wallerstein nahe der Stadt Nördlingen
geboren. Woher kommt dieser seltsam klingende Name? Es wird
berichtet, daß er diesen während einem Aufenthalt in Ungarn
erhielt, und daß es die Übersetzung seines Vornamens Albrecht
sei. Das blieb an ihm hängen und so kennt man ihn in Kanada als
William Berczy. Er wurde inzwischen als ein vielseitiges Genie
erkannt.
Robert MacIntosh griff in seinen Forschungen auch auf die Arbeit
des deutschstämmigen Historikers John Andre zurück, der mit
seinen beiden Büchern „William Berczy, Co-Founder of Toronto”
(1967) und „Infant Toronto as Simcoe’s Folly”(1971) für große
Aufregung unter der hiesigen Historikerschaft sorgte. Auf der
Umschlagseite seines ersten Werkes können wir folgendes lesen:
„Berczy shares the honour with Dorchester and Simcoe of being
the co-founder of a mighty metropolis.
Whereas Dorchester produced the first plan on paper, and Simcoe
actually erected a primitive fort near the proposed townsite,
Berczy created the first roads and buildings within the town
itself. Berczy also built Yonge Street, founded Markham
Township, designed the first architecturally notable houses and
the Don River Bridge. From his earnings as an artist - portrait
painter, this forgotten hero actually paid for a substantial
part of Toronto’s first local improvements”.
Auf Deutsch: “Berczy teilt die Ehre mit Dorchester (Vorgänger von Simcoe)
als Mitbegründer einer mächtigen Metropole. Während Dorchester
den ersten Plan zu Papier brachte und Simcoe ein primitives Fort
nahe der vorgesehenen Stadt erstellte, baute Berczy die ersten
Straßen und Gebäude innerhalb des Ortes selbst. Berczy hat auch
Yonge Street (längste Straße Torontos) gebaut, begründete den
Markham Distrikt und entwarf die ersten architektonisch
beachtenswerten Häuser und die Don River Brücke. Von seinen
Einnahmen als Künstler - Portrait Maler, zahlte dieser
vergessene Held auch noch für einen wesentlichen Teil von
Torontos Verbesserungen.” Damit stellt John Andre die gängige
Geschichtsschreibung praktisch auf den Kopf.
Es sollte noch erwähnt werden, daß Moll-Berczy von Simcoe um das
von seinen Siedlern urbar gemachte Land betrogen wurde. Er ging
nach England um sich sein Recht zu erkämpfen. Als er in New York
weitere Hilfe suchte, starb er eines mysteriösen Todes. Sein
Andenken und das seiner Pioniere wird jedoch alljährlich im Juni
in der Stadt Unionville, nördlich Torontos, mit einem
Siedlerfest und einer Parade gefeiert. Im benachbarten Markham
haben die Nachkommen der Moll-Berczy Siedler eine Partnerschaft
mit der deutschen Stadt Nördlingen geschlossen, die schon zu
mehreren gegenseitigen offiziellen Besuchen geführt hat. Weitere
Informationen über die mehr als 300jährige Geschichte
deutschstämmiger Siedler in Kanada geben auch die Jahrbücher der
Historischen Gesellschaft von Mecklenburg Ober-Kanada. Hat man
sich diesbezüglich informiert, so könnte sich ein gewisser Stolz
auf unsere Herkunft entwickeln, der sich auch auf Kinder und
Kindeskinder übertragen ließe - wozu öffentliche Bekundungen bei
Feierlichkeiten, wie dem Deutschen Pioniertag, eine ideale
Gelegenheit bieten.
Christian Jürgen Klein
Historische Gesellschaft von Mecklenburg Ober-Kanada
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