In diesem Sommer wurde die Frage: "Ist das deutsch oder
nicht?" mehrmals in der hiesigen deutschsprachigen Gemeinde aufgeworfen.
ECHO GERMANICA machte sich die Mühe, es herauszufinden.
Fragen wie "Was fällt Ihnen ein, wenn ich frage ‚Was ist
deutsch?’ oder ‚Was ist typisch deutsch?’" wurden hier in Kanada und in
Deutschland gestellt. Wir befragten nicht nur Deutsche, sondern auch einen
Querschnitt von Kanadiern verschiedener Abstammung, ebenso auch Fremde in
Deutschland, die dort leben und arbeiten.
Eine der ersten Antworten wurde uns als ethnischer Witz
gegeben:
„Ein Deutscher ist ein Gelehrter, über alles.
Zwei Deutsche sind ein Gezankverein.
Drei Deutsche sind eine Armee, sie marschieren immer."
Um die anderen deutschen Sprachgruppen nicht auszulassen,
wurden wir weiter informiert:
„Ein Österreicher ist ein Feinschmecker.
Zwei Österreicher sind eine Heurigenpartie.
Drei Österreicher gibt es nicht, da ist immer ein Fremder dabei."
Die Schweizer wurden folgendermaßen beschrieben:
„Ein Schweizer ist ein Eidgenosse.
Zwei Schweizer sind ein Bankgeheimnis.
Drei Schweizer sind Uhrenschmuggler."
Weiterhin wurde uns gesagt, daß es diese freche Art von
Sprüchen über jedes Land gibt. Die erste Bemerkung über einen Deutschen
könnte genau wie die über einen Österreicher oder einen Schweizer fast eine
Wahrheit sein, da Deutschland hohe Ansprüche ans Schulsystem stellt. Aber
die Worte "über alles" sind garantiert eine Anspielung auf die deutsche
Nationalhymne und deshalb wesentlich bissiger als die Bemerkungen über die
beiden anderen. Die Zeilen über "zwei" oder "drei" beinhalten eine Form von
Kritik, die nur bei den Österreichern abwesend ist.
Das könnte unter Umständen heißen, daß diese Serie über
‘wer ist wie’ aus Österreich stammt. Die anderen beschriebenen Länder sind
nämlich auch nicht so gut wie die Österreicher dabei weggekommen. Die
Äußerungen waren besonders scharf und kritisch. Vielleicht war der Verfasser
ein auf Puderzucker scharfer Feinschmecker, der ihn regelmäßig auf all das
stäubt, was ihm in seiner eigenen Umgebung nicht angenehm ist, um von
möglichen negativen Punkten abzulenken und die Aufmerksamkeit auf etwas
anderes zu lenken. Das kann natürlich nicht bewiesen werden und wird auch
nur als spekulativer Gedanke offeriert.
Es ist interessant, daß die meisten der befragten Kanadier
in unserer Umfrage an Essen und Getränke dachten. Deutsches Essen ist
Kaltwetteressen, wie z. B. Sauerkraut, Würstchen und Schweinebraten, hat
einen kräftigen Geschmack und ist ideal für den kanadischen Winter. Deutsche
Biere und Weine waren auch schnelle Antworten, wobei sie meistens besser als
die nordamerikanischen Produkte bewertet wurden.
Unter belesenen, gut ausgebildeten Kanadiern waren die
Beiträge deutscher Kunst erste Antworten. Dabei konnte man ihren Gesichtern
ansehen, wie viel Bewunderung sie dafür hatten. Deutsche und österreichische
Komponisten standen ganz oben auf ihrer Lieblingsliste. Malerei, Architektur
und Industriedesign wurden neben deutschen Philosophen als eine große Stärke
angegeben. Wenn wir nach persönlichen Merkmalen fragten, wurde uns meistens
gesagt, daß es ja die durch verschiedenen Medien verbreitete Klischees gäbe,
die aber in ihren persönlichen Erfahrungen mit den jeweils eigenen
Erfahrungen nichts gemeinsam haben. Interessanterweise haben sie einige
eigene Klischees in Bezug auf Österreicher und Schweizer, da sie sich nicht
bewußt sind, viele Freunde und Bekannte aus diesem Bereich zu haben.
Deutsche werden als freundlich und höflich beschrieben,
aber nie übermäßig, deshalb glaubt man ihren Gefühlen. Qualitäten wie
Verläßlichkeit (Das Einhalten eines Versprechens selbst unter schwierigen
Umständen), große Gastfreundschaft (im eigenen Haus und auch bei größeren
Veranstaltungen) als auch eine große Freude daran, mit anderen zu feiern,
wurden meistens erwähnt.
Verschiedene Leute bemerkten, daß Deutsche, Österreicher
und Schweizer das System nicht so ausnutzen wie andere Gruppen.
Österreicher wurden als Menschen beschrieben, die auf
gepflegte Manieren und Vornehmheit Wert legen. Österreichisches Essen war
sehr beliebt, insbesondere die süßen Variationen. Musik und Trachten wurden
auch oft erwähnt. Die Schweizer wurden für ihren Geschäftsverstand ohne
Sentimentalitäten gelobt, wegen ihrer starken Dienstleistungsorientierung,
und zwar immer mit einem Lächeln.
Die meistgeäußerten Bemerkungen im Bezug auf alle drei
deutschsprachigen Gruppen waren : großzügig und fair.
Die Meinung der Kanadier im Bezug auf alles Deutsche ist
positiv. Die Meinungen der Leute aus unserem eigenen Sprachraum weist eine
Veränderung der Beobachtungen auf. Diese Meinungen über die eigenen Leute,
weil sie von innen kommen, sind viel kritischer, und zwar den eigenen
Gruppen gegenüber als auch wie man außerhalb derselben wahrgenommen werden
will.
Dazu wären die Feierlichkeiten im Zusammenhang mit der
Verbindung Frankfurt am Main und Toronto ein gutes Beispiel. Zu dem Anlaß
fand auf dem Nathan Phillips Square eine öffentliche Veranstaltung statt.
Das "Deutsche Nationale Tourist Büro", Privat- und Geschäftsleute
organisierten zusammen ein tolles Fest. Eingeladen war die berühmte
Frankfurter Barrelhouse Jazzband. Sie repräsentierte die Bundesrepublik
Deutschland schon 49 mal bei ähnlichen Anlässen, Kanada war Nummer fünfzig.
Der freundliche und konsolidierende Zeitgeist der Dixieland Musik, gespielt
von einer erstklassigen deutschen Band, war aus der Sicht vieler anwesender
Deutscher nicht deutsch. Man war hingegen der Meinung, daß Volksmusik
angebrachter gewesen wäre. Dem allgemeinen Publikum gefiel die Musik
außerordentlich. Wahrscheinlich verschwendete nicht ein Einziger auch nur
einen Gedanken daran, daß dies nicht deutsch war. Andere Journalisten waren
von der Qualität der Band beeindruckt. Die Volksmusik wurde während der
Konzertpausen vom Band gespielt. Ansonsten waren viele deutsche Elemente
vorhanden, z. B. Bier, Lebkuchenherzen und Struwwelpeter, eine
Märchenbuchfigur aus Frankfurt. Für deutsche Nachkriegsgenerationen ist
Dixieland Jazz genauso vertraut wie ein deutsches Volkslied, genau wie viele
andere fremde Dinge. Ein Trip nach Deutschland und weitere Umfragen
bestätigten das. Wenn man durch das Zentrum einer großen Stadt in
Deutschland geht, ist es schwer festzustellen was deutsch ist. Das Bild ist
bunt gemischt. Man sieht viele Menschen auf den Straßen, die zwar kaukasisch
aussehen, aber offensichtlich nicht alle deutsch sind. Ihre Kleidung weist
sie als eine internationale Schar aus. Junge Leute tragen meisten Jeans mit
irgendetwas, sehr leger. Oft erzählt nur das Kopfsteinpflaster, daß sich
diese Jugendlichen nicht in Nordamerika befinden, denn sie demonstrieren
ihre Liebe in Sachen Amerika recht auffällig. Das liegt wahrscheinlich an
der Art und Weise, wie Produkte vermarktet werden. Plakate auf Englisch,
Produkte aus den USA sind stark gefragt. Im Fernsehen hat fast alle Werbung
einen englischen Soundtrack, wenn das Gesprochene darin auch auf deutsch
ist, und es sich nur um ein Waschmittel oder Deodorant handelt. Das
nordamerikanische Marktsystem ist fest etabliert und hat seine Spuren in der
Kultur hinterlassen. Die neueren Generationen taten sich schwer, etwas
typisch deutsches zu finden. Nur Bier- und Kaffeetrinken, eine Vorliebe fürs
Tanzen und Feiern und Ferienmachen außerhalb von Deutschland fiel ihnen ein.
Ältere Generationen sagten spontan: Volksmusik, regionale Kostüme
(Trachten), Dialekte! Die Antworten ähneln sich bei den älteren Generationen
hüben und drüben!
Das ergibt natürlich nicht das ganze Bild, sondern nur
eine Indikation. Fremde, die in Deutschland leben und arbeiten beschreiben
ihre Gastgeber als fleißige, saubere Menschen, die sich gerne Vereinen und
Gesellschaften für Gemeinschaftsaktivitäten anschließen. Es ist wahr, daß
man in Deutschland per Kapita die größte Anzahl eingetragener Vereine in der
Welt feststellen kann. Die bewegen sich zwischen Karneval und Sport und
allem anderen was man als Gruppe gemeinsam gestalten oder unterstützen kann.
Wenn das Massenmedium Fernsehen eine Reflexion für typisch Deutsches ist,
dann muß ein neutraler Beobachter feststellen, daß die Deutschen ihre
Unterhaltung importiert vorziehen. Das Gleiche wird man hier allgemein bei
Deutschkanadiern feststellen können. Entrepreneure, die deutsche Künstler
für ein deutschsprachiges Publikum nach Kanada bringen, sind sehr
erfolgreich, besonders wenn der Sänger sein Repertoire auf Deutsch vorträgt.
Ansonsten kann, wie schon passiert, eine Kontroverse auftreten. Hier
ansässige Talente aus den eigenen Reihen müssen sich alleine in der
kanadischen Kulturlandschaft zurechtfinden und haben es oft nicht leicht.
Aber auch hier gibt es Veränderungen. In Toronto haben sich Künstler und
deren Freunde zu einer lockeren Gruppe formiert, um ihre Bemühungen zu
unterstützen. Deutschsprachige Menschen sind natürlich vielen anderen
Kunstformen zugetan, wie Oper, Konzerten, Theater usw.! Ein Vorzug der
Zweisprachigkeit.
In Deutschland ist es ähnlich. Während die ältere
Generation es vorzieht, hauseigene "Soaps" (Seifenopern) wie "Die
Schwarzwald Klinik", "Ein Herz für Tiere" oder "Der Landarzt" anzusehen,
zieht der Rest es vor, die guten alten nordamerikanischen Serien, die in
großer Anzahl angeboten werden, anzusehen. Da gibt es: "Dennis the
Menace", "Jake and the fatman", "Dallas", "Miami Vice", "Die Cosby Show",
"Star Trek", "Magnum P.I." und viele andere. Sie marschieren
wöchentlich, manchmal täglich über den Bildschirm.
Bei bunten Programmen gibt es immer viel Ausländisches,
hauptsächlich auf Englisch.
Außer den kontinuierlich stattfindenden politischen
Debatten - momentan gibt es mehr zu debattieren als je zuvor - werden viele
Filme angeboten: amerikanische, kanadische, französische, englische - alles
mögliche - und einige deutsche Filme. Natürlich hat Deutschland auch eine
eigene "Miami Vice" Fernsehversion: "Schimansky", eine im Ruhrgebiet
spielende Kriminalserie.
Country und Western Lieder sind sehr beliebt und sind
selbst in deutscher Sprache eine genaue Kopie der nordamerikanischen
Versionen. Die deutschen Sänger verenglischten sogar ihre Namen, z.B. Jonny
Hill. Jetzt wird es noch schwieriger festzustellen, was wirklich deutsch
ist.
Bei allen unseren Umfragen war nur ein kleiner Anteil, der
etwas Negatives über die eigenen Landsleute zu sagen hatte, wie z.B.:
Ein Gartenzwerg in jedem peinlich genau zurechtgestutzten
Garten,
ein kleinkarierter, enger und sturer Gesichtskreis,
angeben oder protzen.
Aber diese Kommentare kamen von sehr jungen Leuten, die
noch mit ihren Eltern und höchst komfortabel von deren Geld leben, das ihnen
stinkt. Sie brauchen natürlich nicht zu arbeiten, um auszuhelfen.
Wahrscheinlich hörten sie sich die in der letzten Zeit
sehr häufig vorgekommenen Kommentare aus den britischen Medien an, in denen
ein nun verabschiedeter englischer Minister die Deutschen arrogant und
aggressiv nannte.
Es ist klar, daß die Meinungen darüber was deutsch ist,
zwischen Politikern und der Öffentlichkeit bzw. Menschen verschiedener
Herkunft auseinandergehen, sowohl hier als auch drüben. Auffällig war, daß
die meisten Befragten sich die Mühe machten, ernsthaft und nachdenklich zu
antworten, anstatt gedankenlos irgend etwas Vorfabriziertes vom Massenmarkt
der Medien auszuspucken.
Vielleicht kann dieser Bericht dazu beitragen, unsere
Leser zu bewegen, ihre Mitmenschen - egal wo sie herkommen - mit anderen
Augen anzusehen. Es gibt keine geeignetere Zeit als die Gegenwart, um eine
bessere Zukunft zu schmieden. Und auch das war ein gefundener Gesichtspunkt:
Laßt uns die Gelegenheit wahrnehmen, alles zu verbessern!
Es wird immer Elemente geben, die durch Andersdenken
auffallen, das trifft nicht nur für Deutschland und Deutsche zu. Man kann
einen verfaulten Apfel in jedem Korb finden. Das Geheimnis liegt wohl darin,
ihn so schnell wie möglich von den andern zu trennen, bevor er sie anstecken
kann. Und das sollte wohl Zuhause anfangen, bei jedermann, sonst könnte es
so kommen, daß wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen werden.
Was also ist deutsch?
Es kommt scheinbar ganz darauf an, was man sieht. Diese
Übung der Umfrage zeigte mir, daß die Deutschen sehr verschiedenartig und
meist gewillt sind, herauszufinden, was in ihrer Umgebung gewünscht und
gebraucht wird.
Lederhosen, Dirndlkleider Würstchen und Sauerkraut sind
zwar ein bekannter Bestandteil dabei, aber weit von der Wahrheit entfernt.
Deutsche werden nicht mehr durch Klischees angesehen und brauchen sich
deshalb auch nicht hinter ihnen zu verstecken. Die Menschen in Deutschland
haben sich gut in die Idee des globalen Dorfes hineingefunden, ohne dabei
die Elemente zu verlieren, die sie kulturell von anderen unterscheiden.
Über Deutsche in Kanada ist gesagt worden, daß sie
deutscher als die Deutschen seien, ein als Kompliment gedachter Kommentar
besuchender Gruppen in diesem Land.
Auf der anderen Seite bin ich in Deutschland ‘kanadisch’
genannt worden. Die Kluft scheint schmäler zu werden. Und warum auch nicht?
Ich nehme gerne das Beste von jedem.
Sybille Forster-Rentmeister