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May 2000 - Nr. 5

 

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Antje berichtet

Antje Steiger

Das Phänomen „Hausarbeitszeit" im Jurastudium

Die Vorlesungszeit verläuft wie immer ruhig. Einige Stunden werden voller Aufmerksamkeit verfolgt, andere nach einem ersten Versuch wieder fallen gelassen. Akademische Freiheit - nimm mit, was du willst. So verleitet gerade das Sommersemester zum Faulenzen und Freistunden nehmen. Für die ein, zwei Klausuren ist schnell gelernt. Der Hammer kommt erst noch - die Hausarbeitszeit. Das Semester neigt sich dem Ende, und die Studenten anderer Fachrichtungen fangen an zu lernen und sich auf ihre meist vierwöchige Prüfungszeit vorzubereiten. Der Jurastudent, der durchschnittliche, geniest noch munter sein Leben, bis er seinem Schicksal nicht mehr entkommen kann.

Der erste "Ferientag" der Semesterferien bricht an, und der Startschuß für die Hausarbeitszeit ist gefallen. Wie ein verrückter wilder Haufen stürzen sie (an die 1000 Jurastudenten) in die Bibliothek, Angst davor, keinen Aufgabenzettel zu erhaschen. Ach, Glück gehabt, es sind genügend vorhanden. Die Bibliothekare betrachten schon lange nicht mehr erstaunt sondern mit wohlwissendem Schmunzeln die Szenerie. Plötzlich kehrt Stille ein, die Bibliothek lichtet sich und gönnt sich ein letztes Mal ihre verdiente Ruhe vor dem Sturm.

Dadurch, daß die Juristische Fakultät nur eine Präsenzbibliothek pflegt, ist der Student gezwungen, seine Materialien vor Ort zu sammeln, um eine Lösung des Falles zu erarbeiten. Die Aufgaben sind Fälle „voll aus dem Leben gegriffen", die meist innerhalb von 6 bis 8 Wochen zu lösen und mit einem Umfang von 15 bis 35 Seiten abzugeben sind.

Ein paar Tage später ist der Andrang groß. Schon eine halbe Stunde vor Öffnung der Pforten stapeln sich die Hausarbeitsschreibwilligen und kaum öffnet sich die Tür, stürmen sie herein. Ganz zielstrebig packen sie haufenweise Bücher aus den Regalen und eilen zu einem Platz. Den Letzten beißen oft die Hunde. Nicht nur, daß er kein Buch ergattern kann, er findet meist auch keinen Platz. Bisweilen häufen sich zehn bis zwanzig Bücher am Arbeitsplatz, die den ganzen Tag ungeöffnet und ungelesen da stehen. Ein anderer, der sie lesen will, sucht sie vergebens. So erschwert sich das Lösen des Falles.

Kollegialer Zeitgeist? Das sind wohl Fremdworte in den Köpfen der Neuzeitstudenten.

Es gibt aber auch andere Phänomene zu beobachten. Da verschwinden doch klammheimlich Bücher von ihrem angestammten Platz, als hätte sie über Nacht die Wanderlust gepackt und tauchen an seltsamen Orten wieder auf, in zweiter Reihe oder zwischen völlig anderen Rechtsgebieten stehend. Merkwürdiges geht da vor, in der Hausarbeitsschreibphase.

Des weiteren verwechseln die jungen Frauen die Bibliothek mit einer Bar. Sie legen extra feinen Fummel an, lassen tief blicken und durchschreiten mit herausgestreckter Brust und erhobenen Hauptes die Bibliothek auf der Suche nach einem willigen Opfer der älteren Semester, das ihrem „Charme" erlegen gern die Lösung der Hausarbeit übernimmt.

So schleppen sich die Wochen einem Deja-vu gleich dahin, hinterlassen zerfledderte Bücher und Zeitschriften, kaputte Kopierer und brachliegende Nerven, vor allem der älteren Studenten, die diese Phase längst hinter sich und das Examen vor sich haben, und der Bibliothekare. Jeder, der den Weg in die Bibliothek vermeiden kann, tut gut daran. Professoren bekommt man so gut wie nie zu Gesicht.

Die Semesterferien nähern sich dem Ende, der Abgabetermin steht vor der Tür. Die Bibliothek hat wieder einmal tapfer diesem Phänomen standgehalten und sich ihre Ruhepause redlich verdient.

Jetzt folgt die Zeit des Kummers, der Tränen und des Erwachens. Viele gefundene „Paare" trennen sich plötzlich. Zurück bleiben oft verstörte junge Männer, hoffentlich gereift und standhafter in der nächsten Hausarbeitsperiode.

Antje Steiger, 14. April 2000-2

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