July 2000 - Nr. 7
Antje berichtet
Der letzte Schultag
Unser Leben besteht aus mehreren Lebensabschnitten. Die Schulzeit ist einer davon. Viele erinnern sich mit Schrecken an die Zeit der Paukerei, der Testate und Leistungskontrollen, der Hausaufgaben als unerwünschte „Freizeitbeschäftigung". Aber die Schulzeit hatte noch viel mehr zu bieten. Da waren die Klassenfahrten, die kleinen Streiche, die man den Lehrern spielen konnte, Basare, Altpapiersammlungen, Sportfeste und Schulfeiern.
Der wohl wehmütigste und gleichzeitig schönste Tag eines jeden Schülers ist der letzte Schultag. Die Verantwortung für das eigene Leben wächst. Der Einstieg in die Arbeitswelt steht bevor. Gleichzeitig blickt man auf wundervolle Jahre zurück. Der letzte Schultag ist somit in vielerlei Hinsicht ein Grund zum Feiern.
Die schriftlichen Abschlußprüfungen liegen schon ein paar Wochen zurück. Die Mündlichen stehen noch aus. Die Schüler verbringen ihre Zeit mit Konsultationen für die letzten Prüfungen und schmieden schon eifrig Pläne für den magischen Tag. Dann ist er da. Alles scheint wie immer zu sein. Der Schulbetrieb läuft ganz normal. Aber plötzlich nähern sich der Schule völlig fremde Gestalten. Man könnte meinen, sie haben den Faschingsumzug verpaßt. Die Haare wild und bunt gestylt, die Jeans zerschlissen und bemalt, die Shirts und Blusen bunt und kitschig. Sie machen einen Höllenlärm mit Rasseln, Pfeifen und Knarren. Sie singen, schreien und jaulen, haben alte Ranzen aufgesetzt und tragen Schulbücher vergangener Jahre mit sich herum. Jeder soll erfahren, was es für ein Tag ist.
Selbst für die Klassenlehrer haben sich die Schulabgänger etwas ausgedacht. Abhängig vom Beliebtheitsgrad werden die Lehrer in einer Schubkarre, einem Holzwagen, einem Handwagen oder auf einer Bahre zu Hause abgeholt und zur Schule gebracht. Dann steigt ein kleines Fest. Nun läuft in der Schule nichts mehr normal. Der Unterricht wird unterbrochen, weil alle neugierig auf das kleine Programm sind, was nun folgt. Es werden Szenen aus der langen Schulzeit dargestellt und Mundarten der Lehrer und Schüler vorgetragen. Vereinzelt hilft man sich auch mit bekanntem Stoff, wie z.B. einer Aufführung der „Rocky Horror Show", der dann auf das Schulleben zugeschnitten wird. Auch die Lehrer beteiligen sich rege und spielen auf Anleitung der Schüler Märchen nach, wie „Schneewittchen und die sieben Schulzwerge".
Da der Schulbetrieb aber nicht ewig gestört werden kann, denn all die anderen müssen ja noch so viel lernen, zieht die lustige Truppe durch die Stadt. Viele Passanten bleiben stehen und unterhalten sich mit den Schülern, erzählen von ihrem letzten Tag.
Am Abend steigt dann eine große Party, zu der selbst einige Lehrer auftauchen und dem einen oder anderen doch noch ihre Sympathie bekunden oder wehmütig über die Leere sprechen, die nun folgen wird.
Alles in allem ist es ein Tag, der für alle Zeiten in unseren Herzen weiterleben wird.
Die Abschlußfeier mit Übergabe des Zeugnisses ist weit weniger spektakulär. Sie beendet zwar offiziell und in feierlichem Rahmen mit elterlicher Beteiligung die Schulzeit, doch hat das wahre Ende schon an jenem letzten Schultag begonnen.
von Antje Steiger, 21. Juni 2000
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