von Vasile Poenaru
Zu
Fuß durch die Welt.
EXPO 2000 Hannover
Die Zweckmäßigkeit einer Weltausstellung leuchtet
heutzutage nicht immer ein. Wozu? heißt es. Warum kosten die Würstchen so
viel auf dem EXPO-Gelände? Wo liegt der Unterschied zwischen
Weltausstellung und Weltanschauung? Wird in Hannover gut Fußball gespielt?
Warum? Warum nicht?
Das sind keine Fragen. Die EXPO ist an sich zweifellos
ein Ereignis. Inwiefern es sich für den Einzelnen lohnt, sie zu besuchen,
sei hingestellt. Das ist eine persönliche Überlegung. Wer aber später
sagen kann, daß er selber mit dabei gewesen ist, wird es ganz
bestimmt nicht bereuen.
Wie kommt man nach Hannover? Lufthansa, die offizielle
EXPO-Fluggesellschaft, saust im Nu über den Ozean. Einen verlockenden
Eindruck der deutschen EXPO-Welt gewinnt man durch einen Click auf www.expo2000.de.
Und die Unterkunft in der Messestadt wird durch die Website www.easyroom.de
leicht aus ungefährem Wunschtraum zur erbaulichen Wirklichkeit.
Durchgreifende überregionale Kulturverständnisse der
zukunftsgerichteten Menschheit, atemberaubende Standortbestimmungen
modernster Technologien und deren Verbundenheit zur Natur sind Leitworte der
anspruchsvollen Aufgabe, die man Hannover 2000 nennt.
Freilich kann die kleine Weltreise am Rande der großen
Kleinstadt unter Umständen sehr ermüdend werden. Freilich hätte der
interaktiv veranlagte Surfer auf dem weit ausgedehnten
Gelände internationaler Selbsterkenntnis beiweilen gerne mehr Alternativen,
um den jeweils persönlich ausgeprägten Rezeptionshorizont freien
Entfaltungsraum zu gewähren. Nichtsdestoweniger jedoch dringen viele
Eindrücke tief in das Bewußtsein der Menschen ein, die sich ihrer
erschließen, um herauszufinden, was der Mensch anderweitig zu leisten
vermag und wie er heutzutage sich selbst und seine Umwelt empfindet.
Wer etwa den Film im EU-Pavillon miterlebt, kann nicht
umhin, mit inniger Erregung an die vielen kleinen europäischen Geschichten
zurückzudenken, die sich in den letzten Jahrzehnten so gewaltig auf das
Selbstbewußtsein des Alten Kontinents ausgewirkt haben und nun gemeinsam in
das große überregionale Haus fließen sollen, das für Euro-Angehörige
eingerichtet wird.
Das Konzept dieser Versinnbildlichung eines
erschütternden Werdegangs wurde vorzüglich ausgearbeitet: Die Zuschauer
sitzen in einem mobilen Saal, der ein Fahrzeug sein will, das durch die
Meilensteine der EU fährt und dabei weder die so wichtigen stimmungsvollen
Caffees außer Acht läßt, in denen oft der Hauch kollektiver
Gemütsveranlagungen zu erhaschen ist, noch aber die imponierenden
Wahrzeichen des bewährten europäischen Identitätsgefühls, darunter der
Eiffel-Turm, von dem aus man auch gleich einen Abstecher ins Weltall macht,
um dann wieder auf die Erde niederzustürzen, die wir alle unser nennen. Wer
sich auf diese wahnsinnige Fahrt begibt, kann die Chance wahrnehmen, mehr
über sich selbst zu erfahren und über das, was noch auf einen zukommt.
Nach vorne, nach links und rechts, nach oben und unten:
Überall fährt das Fahrzeug der kollektiven Erkenntsnis hin, in dem die
Besucher des EU-Pavillons durch eine Geschichte sausen, deren größtes Wort
noch nicht geschrieben wurde. Nur rückwärts geht es nie: Bis man
schließlich durch einen gewaltigen Anprall gegen die Mauer zum Halt
gebracht wird. Ja, es ist die Berliner Mauer, sie will unserer Traumfahrt
ein Ende bereiten: Sie will die Endstation unserer Hoffnung sein. Wir nehmen
Anlauf und schießen wie ein Prellbock nach vorne, um die Zukunft zu sichten.
Ein Riß entsteht. Und noch einer. Und dann viele andere mehr. Bald geht es
weiter über den Trümmerhaufen entzweiender Bauten der Willkür. Die
Gegenwart ist da, viele Stimmen sollen nun in ihr Platz haben. Wir freuen
uns sehr über den Fall der Mauer, all dies haben wir gemeinsam miterlebt,
gemeinsam mitgestaltet. Oder doch nicht. Eine Ahnung kommt auf: Man braucht
kein Held zu sein, um Geschichte zu schreiben, man braucht kein Genie zu
sein, um Außerordentliches zu leisten. Es reicht, wenn man im richtigen
Sattel sitzt. Im richtigen Pavillon. In der rechten Welt.
Die 15 Meter hohe Dachkonstruktion des Deutschen
Pavillons wiegt über 1,000 Tonnen. Das sich darunter manches tut, ist ein
offenes Geheimnis. Auf 130 Meter Länge und 90 Meter Breite erstrecken sich die
Ideenwerkstatt Deutschland, Brücken in die Zukunft und Mosaik
Deutschland. Das Kulturprogramm im Deutschen Pavillon umfaßt mehr als
500 Veranstaltungen. Jeder Augenblick ist voll ausgelastet. Im Kino wird ein
recht überwältigender Film gezeigt, dem man freilich von Anfang an
entnimmt, daß er vor allem darauf hin konzipiert wurde, recht
überwältigend zu wirken.
Hinüber zum kanadischen Pavillon: Mit seinen 7,500
Quadratmetern ist er der zweitgrößte nach dem deutschen. Wenn man sich ein
Fußballfeld denkt, hat man einen Begriff davon. Auch hier wartet unter
anderem ein multimediales Ereignis, und zwar fast so gut wie dasjenige im EU
Pavillon. Gezeigt wird natürlich vor allem die einmalige Vielfalt der Natur
und der Menschen. Die sagenhaften kanadischen Wälder agieren gleichsam als
dramatischer Treffpunkt zwischen dem natürlichen und dem technischen
Verständnis der Stunde: Auf einmal fängt ein Wald Feuer. Der Kampf
zwischen den Elementen gestaltet sich im Zeichen der Herausforderung, Mensch,
Natur und Technik unter denselben Hut zu bringen.
Die technische Lösung der Aufzeigung dieser Perspektive
kommt erstaunlich gut an, denn es werden sowohl virtuelle als auch
natürliche Elemente dazu herangezogen. Das Wasser ist echt, der Brand
hingegen simuliert. So einfach dieses Konzept auch an sich scheinen mag, so
gewaltig wirkt es dank der vorzüglichen Inszenierung. Durch das anschaulich
abgestimmte Augenspiel der Springbrunnen wird der virtuelle Brand im
multimedialen Erlebnisbereich gelöscht.
Auf der einen Seite kann man somit sehen, wie der Mensch
mithilfe moderner Technik sich der Natur bemächtigt: nicht um ihrer Herr zu
werden, sondern um das ökologische Gleichgewicht des immer kleiner
dünkenden Globus verantwortungsbewußt zu bewahren. Zugleich aber rückt
anhand dieses Bildes eine neue Überlegung des Gegeneinander von fingierter
und tatsächlicher Wirklichkeit in den Vordergrund der Betrachtungen.
Gewöhnlich ist es ja eher so, daß Imaginäres in das Reich der
Wirklichkeit eindringt, um Welten entstehen zu lassen. Dieses Mal jedoch
dringt die Wirklichkeit in den funktional-ästhetisch verklärten Bereich
entfesselter Einbildungskraft ein, wodurch die Akzeptanz einer elektronisch
simulierten Lebhaftigkeit der kanadisch geprägten Radiographie unserer Zeit
ungemein potentiert wird.
Vor der Wüste am Pavillon der Vereinigten Arabischen
Emirate spazieren drei Elefanten herum; freilich wirken sie eher als große
Haustiere. Volksmusik und Trachtenfeste bieten sich überall an.
Oft sind gerade die weniger entwickelten Staaten besser
dran, die Besucher zu beeindrucken, da sie ein reichhaltiges Kulturdiagramm
beiweilen exotischer Regionen bringen. Den Rhythmus afrikanischer Trommeln
zum Beispiel kann das Wort nicht einfangen.
Gut angekommen ist auch die Idee der zentralen
Themenparks. Die globalen Lösungen und die globalen Nöte gehen freilich
oft weit auseinander, wobei man sich allerdings mittelweile weltweit im
zunehmenden Maße dessen bewußt wird, daß der im Rausch eigennnütziger
Globalisierung von fleißigen Umweltverschmutzern in den Nachbargarten
exportierte Mist allen Staaten früher oder später unheimlich viel zu
schaffen macht. Doch irgendwie ist die Stimmung zu feierlich, um dies jetzt
eindringlich zu bedenken.
Und es gab in Hannover natürlich noch Demonstrationen
gegen die Expo (wie es auch in Toronto ganz bestimmt welche gegeben hätte,
falls es der Stadt gelungen wäre, die Weltausstellung zu organisieren). Die
verzeichneten Auseinandersetzungen mit der Polizei würden in Nordamerika
allerdings eher als elegantes Gesellschaftsspiel gelten. Da sollten sich die
uniformierten Jungs in Toronto ein Beispiel nehmen, die Mitte Juni mit ihren
ordnungslüsternen Füßen auf den Bäuchen idealistischer Demonstranten
herumtrampelten, weil diese vor dem Regierungssitz gegen eine sogenannte
Sozialreform protestierten, die die kanadische nationale Katastrophe der
Obdachlosigkeit mit demagogischer Inbrunst noch mehr verschlimmert. Auch
solche am liebsten totgeschwiegene Aspekte werden zwingend sauberlich mit
expo-niert, ob man es nun will oder nicht. Das Moment Hannover versteht sich
nämlich nicht zuletzt als wesentlicher Impuls in Richtung der Bewältigung
einer tiefgreifenden gesellschaftlichen und moralischen Krise der Gegenwart:
einer Aufgabe, die sich viele Länder der Erde zu Herzen genommen haben. Der
Sozialstaat nimmt sozusagen seinen internationalen Abschied, der Finanzstaat
und der Hi Tech Staat wissen dabei nicht immer mit Mensch und Natur
umzugehen. Hoffentlich dient die Messe weltweit als Anregung, den so sehr
beschworenen dritten Weg endlich ausfindig zu machen. Und vielleicht auch
einen vierten oder fünften. Unser Planet hat sechs Kontinente.
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