Blickpunkt Toronto |
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von Vasile PoenaruDiesen Sommer haben die Franzosen die italienische Fußballmannschaft in der Finale besiegt. (Die ruhigen Straßen unserer Innenstadt wissen um das Echo des Sieges). Jetzt wollen sie die Olympiade im Jahre 2008 veranstalten. Die Japaner sind da auch hinterher. Toronto Olympic Bid 2008: Soll ich, oder soll ich nicht? Das ist die Frage, die sich eine Stadt, die sich eine Welt stellt. Die Buchhalter schauen in die Bücher, schielen dann und wann einmal beklommen nach Sidney, um zu sehen, was dort alles in Kauf genommen wird und wie man Zahlen in Wörter umdrehen kann. Man sagt, der Olymp sei an sich irgendwo ganz oben, und das klingt gut. In anderweitigen Kreisen aber sagt man, die Olympiade sei ein Raub an öffentlichen Geldern. Kulturprojekt heißt einer der Gegenbegriffe. Wir haben wissen wollen, was wir wollen, und jetzt meinen wir, es ziemlich genau zu wissen. Es sieht so aus, als würden sich die Stadt und die Provinz die Herausforderung durchaus zumuten lassen. Jeder Schatten, jeder Ton zeigt seine beste Seite. Der internationale Blick soll nun verführt werden.We are a society connected by escalators, meint eine Reklame des imponierenden Eaton Centre. Rasende Aufzüge machtsüchtiger Wirtschaftlichkeit schießen nach oben. Die Wolkenkratzer des konstruktiven Bewährungsdrangs reichen bis zum Himmel. Sie reichen freilich auch bis zu ungleich dunkleren und heißeren Regionen, aber das steht auf keiner Reklame. Ich kenne diese Stadt: Ich weiß, wie sie aus trautem Nichts und urplötzlichem Beieinandersein erwächst, wenn man die Gardiner Expressway in östlicher Richtung entlangfährt, nachdem das Gewimmel des Pearson Flughafens am nördlichen Ende der 427 im Rückspiegel des Multi-Betrachters einer vielsprachig wimmelnden Postmoderne versickert. Ich weiß, wie der Glanz sensationsgieriger Wolken- und Seekratzer auf den benommenen Blick der Fahrer zutanzen, die als eigenwillig sinngeladene Autobahnpartikel durch ein Sozio-Molekül sausen, das man Metropole nennt: Was weiß ich noch? Wie der HimmelsDom in unwahrscheinlich rollendem Blau schwimmt, wenn sich elektrisches Abendlicht auf sein Dach ergießt. Ich weiß, wieviel Dollar es kostet, das Dach abzubauen (gesetzt es regnet nicht). Und daß dort die schreiende Macht spontaner Erregung den Begriff Masse regelmäßig neu definiert, weiß ich auch. Sind erst einmal tausend Leute auf dem selben Fleck, schießt ihre Zahl nämlich leicht nach oben. Und sind erst einmal Hunderttausende an einem Ort, spricht man von kollektivem Erwartungshorizont, von kollektiver Seele, von Leben und Zukunft und von sehr verschiedenen perspektivischen Strömungen, die dahinter stecken. Da Orte auseinanderschießen, da Orte ineinandergehen können, ist Geographie gleichsam eine Angelegenheit der Redekunst. Ich weiß, daß mitunter sechs Städte eine Stadt ausmachen. Ihr Name sei ein Indianerwort. Drei Räuber treffen sich in Toronto. Sie haben drei Säcke mit. Darin: Kulturgüter. Nicht immer ist das Verstaute leicht zu schlucken. Nicht immer sind die Wörter rostfrei, an denen Bedeutungen nagen. Nicht immer sind die Wahrheiten wahr, die Lügen Lügen. Nicht immer hat man Gutes vor. Nicht immer Schlechtes. Drei Räuber treffen sich in Toronto. Das ist eine feine Stadt. Sie treiben feine Geschäfte. Es boomt in ihren Seelen, es boomt in ihrer Zahlungsbilanz. Den Turm haben sie nie gemessen, die Bremer Leute einnehmender Münzenmoral. Musik an der Jahrrtausendwende: Sie wird in Höhlen gespielt, an den Straßenecken, in der U-Bahn. Wenn jeder sein Lied überall hin mitschleppt, haben wir bald viele Töne. Wenn jeder Ton von einem Räuber geraubt wird, haben wir bald viele Räuber. Keiner ist an sich schlecht, keiner ist an sich gut. Gedichte kann man in der U-Bahn lesen, Sport treiben soll man im Hafenviertel, Anzüge sind im Eaton Centre zu erstehen. Drei Räuber treffen sich in Toronto. Das ist die Stadt. |
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