|
||
Olympia - Olympia |
||
Eistanz in einer ganz normalen Familie
Dieses illustre Quintett saß also nachts vor dem Bildschirm und fieberte mit den Verwandten, den Betreuern und den anderen Fans. Die Sportler selbst haben dazu bekanntlich keine Zeit. Jeder von uns hat natürlich ein Idol und seine eigene Fankurve in einer Zimmerecke, die er gegen jeden Eindringling verteidigt. Da wir aber keinen Konzertsaal als Wohnzimmer haben mussten sich eventuelle Besucher die Wettkämpfe zu Hause anschauen. Bereits an der Flächenaufteilung des Zuschauerraumes sah man, wer hier das Sagen hat. Meine Kurve begann bei der linken Bauchhälfte und endet an der Rechten, wobei ich das Bierglas und den Aschenbecher gegen eine Dose gesalzene Erdnüsse in Tantes Fankurve lagern durfte. Dem Rest der netten Familie erging es ähnlich. Nur Schwiegerpapa konnte, wahrscheinlich durch verschiedene Verzichtserklärungen und der bedingungslosen Übernahme niederer Hausarbeiten einen Sessel hinter der Eingangstüre leasen. Die Tribüne samt dem Platz für Getränke- und Naschwerkausgabe sowie alle Zu- und Ausgänge teilte sich Martha mit ihrem Strickzeug. Mein Blick auf den Bildschirm war perspektivisch etwas verzerrt und damit sehr unrealistisch, dafür aber im Preis günstig. Die Dauerkarte konnte ich für fünfmal ‘Hund Gassi führen’ erwerben. Da der Rundumbildschirm noch nicht erfunden ist, und auch das 3D sich auf eine Fläche beschränkt - die Eisläufer also beim Ansatz zum Sprung nicht den Hintern oder einen Fuss aus der Mattscheibe strecken - musste ich mich größtenteils an den Kommentaren der fachkundigen Zuseher über das Geschehen orientieren. Doch auf diese Elite war Verlass. Absolut neutral und fair wurde von jeder Aktion berichtet, wenn auch der Sport selbst dabei etwas zurückstecken musste. Waren doch die Ereignisse um das Geschehen zu sensationell um weggelassen zu werden. Nichts entging dabei den Adleraugen, jede geringe Vermutung wurde bereits im Keim akustisch sichtbar gemacht. Gnadenlos wurde jeder Webfehler an der Bekleidung der Teilnehmer notiert und nach einer offenen Diskussion je nach Herkunft bei der Haltungsnote dazugerechnet oder abgezogen. Bei einer derart fachkundigen Jury verweilen zu dürfen und das bei diesem Eintrittspreis war für mich natürlich eine Ehre. So saßen nun Alle, dem feierlichen Anlass entsprechend gekleidet und warteten auf das erste Paar. Oma richtete dabei ihren rosaroten, gestepten Morgenmantel mit Veilchenkragen zurecht und liess frech das perlgarngesäumte ‘Witwe-Bolte-Look-Nachthemd’ hervorspitzeln. Schwiegerpapa im Schlafanzug aus lindgrünem Atlas-Seidenimmitat mit Brusttasche, veredelt mit einem als Einstecktuch getarnten Schneuztuch. Der Mode von Einst angepasst, wurde die verdeckte Knopfleiste mit aufgenähten Efeublättern verziert. Der mit Edelweiß und Enzian bestickte Hochkragen wurde von Metallstäbchen in Form gehalten und war, wie die lederartigen Ellenbogenschoner aus dem Nachlass von Uropas ‘Out-door-Jagddress’ recycelt. Die Hose, ebenfalls aus diesem Kranzschleifenstoff, war ausgestattet mit knöpfbarem Hosenschlitz, leicht offen getragen und sehr großzügig bemessen. Die Hosentaschen, dezent mit durchtrenntem Eichenblatt hervorgehoben waren flachmanngerecht geschneidert. Nur auf die Messertasche, Hosenträger und Schariwari war auf Grund der Verletzungsgefahr verzichtet worden. Tantchen, wie immer im Hausanzug aus einstmals rotem Samt, der es vorzog nach den vielen Jahren langsam dem Futter Platz zu machen. Passend zu der Farbe der Fingernägel das Haarnetz mit bunten Perlen besetzt, ein gekonnt gearbeitetes Replikat der bekannten, süßen Liebesperlen. Dieser prä-aristokratisch anmutende Anblick wurde mit frischem Gurkensalat belohnt, der - jede Scheibe einzeln sauber mit einer Art ‘Creme fraiche’ umzingelt - von einem Häubchen aus Nase gekrönt wurde. Schwiegermama in der graublauen, mit kleinen Blumensträußen bedruckten und geknöpften Arbeitsschürze, die stoffsparend die Figur betonte und damit die Qualität des Knopflochgarns auf eine ernste Zerreißprobe stellte. Diese Schürze gehört mit Schrubber und Kopftuch zur Grundausstattung der Hausfrauenuniform und zeigt, je nach Farbe die Höhe des Dienstgrades an – je heller, desto höher, hier sehr hoch. Sorgsam gekämmt war wie immer das Haar und für diesen besonderen Anlass zur ‘Halleluja-Zwiebel’ auch ‘Dutt’ genannt, geformt. In diesem exklusiven Farben- und Formenrausch ging ich in der Ostkurve förmlich unter, wurde durch die Grautöne des Jogginganzugs zum Hintergrund degradiert. Die Show begann!Sofort wurde Hans von seiner Gattin durch einen diskreten Nierenschlag aufgefordert das ‘krasch-krasch’ mit den Chips einzustellen. Hans gehorchte wie immer und lutschte nun seine Paprika-Chips. Plötzlich war aus den Gesichtern von Oma, Martha und Tantchen zu lesen, dass ein besonderes Kleidungsstück zu sehen sein musste, das etwas Weibliches in sich barg. Die verklärten Blicke kenne ich noch von Sylvias Hochzeit mit dem schwedischen Prinzen – nicht zu verwechseln mit dem Blick beim Erscheinen von Camilla Parker. Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt. Aus einer Suite war Musik zu hören, laut und mit Beifall unterstrichen. Ein Paar musste den Tanz bereits begonnen haben, denn die hiesigen Kommentatoren begannen gleichzeitig zu berichten. Aus diesem Wellensalat war aber leider nichts zu entnehmen was auf den Lauf hindeutete. Nur, dass das Kleid durchsichtig ist, dadurch natürlich viel zu dünn für diese Witterung. Die Nieren spielen da nicht lange mit, das ist bekannt. Die Nachbarin von Elvira Meier, eine ledige Haubschmid übrigens, lief auch immer so herum. Einfach unvernünftig und? Heute hat sie eine chronische Nierenbeckenentzündung und der Arzt sagt, dass keine Aussicht auf Besserung besteht. Gemeinsam wurde dies mit balettreifen Gesten von Kopfschütteln, Hand vor den Mund halten und "tsa, tsa, tsa" bestätigt. Nein, dieser Axel war nicht sauber. Dieser Mitfahrer, ach der Partner hat ja überhaupt kein Gefühl, er ist einfach zu eckig und steif, passt überhaupt nicht zu dieser zierlichen Frau. Und da fällt sie – mein Gott, muss das sein. Ausgerechnet heute. Ursachenforschung ist angesagt. Schon nach wenigen Minuten steht fest, dass es nicht am Schliff der Kufen liegt, noch am Wetter sondern eindeutig am Eis. Und Martha bringt es auf den Punkt. Es gibt in Amerika unendlich viele Pferde, trotzdem bringt jeder Reiter sein eigenes Ross mit. Warum können die nicht ihr Eis von zuhause mitbringen? Hier wird wieder gespart, wie üblich am falschen Ort. Ein allgemeines Kopfnicken bestätigt den Missstand. Auch Schwiegerpapa wird mit dem Kopf genickt, muss ja auch mal seine Meinung sagen. Wer gerade läuft weiss niemand so genau, doch die sind nicht von den Unseren. Er fällt auch hin. Muss ja, bei dieser Figur. Sollte nicht Eislaufen, wäre besser beim Weitsprung aufgehoben, da darf man das. Schwiegermama Martha erklärt Oma, dass nicht umgeschalten wurde, dass dieser Wagen eine Eismaschine ist. Oma findet es prima, dass da auch der Italiener mit Eis kommt, Kinder wollen schliesslich bei jedem Wetter Eis. Die Unseren kommen! Oh je, wenn das nur gut geht. Martha braucht einen Cognac, Tantchen auch einen ‘Lütten’ aus dem Wasserglas, haben ja keine Dopingkontrolle. Oma soll nicht so fest die Daumen drücken, die Osteoporose mag das nicht. Der fällt hin! Ach das ist ja nur der Trainer, Gott sei Dank. Ist aber auch blöd, die haben keine Schlittschuhe an, wie soll man da laufen können. Wenigstens die Zugangswege sollten gestreut sein, würde ja wohl nicht die Welt kosten. Sonst haben die Amerikaner auch für alles Geld. Sie fahren – sie fahren! Gekonnt, dieser Rittberger, einfach perfekt. Haben ja auch einen guten Trainer, hat Erfahrung. Die Drehung einfach wunderbar und – oh je er wäre beinahe hängengeblieben an ihrem Oberschenkel. Wie kann dieser Doofmann von Trainer dem Mädchen Netzstrumpfhosen anziehen lassen, logisch dass man da hängenbleibt, heisst ja auch Netz. Der Sprung war perfekt, das ist Gold. Tantchen braucht noch einen ‘Lütten’, findet es ungerecht, dass da dann nur einmal eine Goldmedaille gezählt wird obwohl die doch zu Zweien sind. Schwiegerpapa meinte nur, dass er beim Kutschenrennen mit sechs Pferden auch nur eine Medaille bekommen hat. Diese Aussage wurde als nicht vergleichbar gestrichen und mit Abwinken bestraft. Das Jammern von Martha wurde als störend empfunden. Immer das Selbe! Beim Salcho renkt sie sich den Halswirbel aus. Mangelndes Training, eindeutig. Auch Schwiegerpapa nickt. Ja, was nun. Die Kampfrichter gehen schon wieder. Wer hat denn nun jetzt gewonnen? Ein Schulterzucken geht von Kurve zu Kurve, Ostkurve fällt wegen Schnarchen aus, wodurch der Schuldige schon gefunden ist. Wegen mir wurde also das Wichtigste verpasst. Aber es steht fest, dass die Kampfrichter nicht gut waren, besonders der mit der Brille. Hat doch jedesmal nur den Mädchen auf die Beine gestiert. Wir müssten das selbst in die Hand nehmen, dann würde wieder Gerechtigkeit in den Sport kommen. Ich habe jedenfalls am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren, dass wir nicht gewonnen haben – macht nichts! Dabeisein ist Alles. Copyright ©2002 Andy
|
||
|
||
Send mail to webmaster@echoworld.com
with
questions or comments about this web site.
|