Beinahe
ein Märchen
Terrorismus, der heimatlose Krieg
Schreckensmeldungen von Bombenanschlägen, Reportagen über
Geisselnahmen und Selbstmord-Attentäter, Tote und Verletzte, wir hören davon
täglich. Jeder ist entzetzt, doch durch die tägliche Wiederholung verliert
jede weitere Meldung mehr und mehr an Schrecken. Der einstweiligen Ohnmacht
folgt bald Gleichgültigkeit, nur gestört von gezielt wirksamer Pro- und
Contra-Wahlpropaganda der Politiker. Die junge Generation wächst damit auf,
die Älteren kennen ganz andere Meldungen aus dem Krieg. Und wir haben wieder
Krieg. Doch er findet nicht mehr nur vor der Haustüre statt; er fordert aber
viel weniger Tote als die Schlachten der Kriege, bei denen oft Zigtausende
von Toten gezählt wurden; er findet eben meist in der Ferne statt. Nur haben
wir mit dem Feind selbst unsere Probleme. Er ist nicht fassbar und doch
allgegenwärtig - unter uns - und doch unsichtbar. Wie sollen wir einen Feind
bekämpfen, wenn wir ihn gar nicht erkennen? Er hat zwar einen Namen bekommen,
ist dadurch aber genauso anonym wie die Masse der Menschen selbst. Bisher
hatten wir klar umrissene Feinde. Man erkannte sie - an der Hautfarbe, an
der Kleidung, der Uniform, an der Haartracht, an der Fahne, an der
Lebensweise, der Sprache und zusätzlich wohnten sie an einem bestimmten Ort.
Sie hatten also das, was man von einem ehrlichen Feind als Mindestbeitrag
verlangen konnte, einen festen Wohnsitz. Und sie hatten Besitz, also Werte,
die es zu erbeuten lohnte. Nicht zuletzt deshalb durfte der Feind stolz sein,
stolz sterben, Hauptsache er hat dies auch getan und hinterliess viele Werte.
Und was haben diese neuen Krieger - nichts von Allem. Wir brauchen aber
einen Feind - ein Feindbild und einen Platz, wo dieser wohnt, klar
lokalisierbar ist - Realität ist, zählbare Leichen hinterlässt. Man muss
schliesslich wissen, wie das Verhältnis steht. Es ist ein Vertrauensindex,
der täglich durch den Äther geschickt wird. Mit 200:1 ist der Bürger
zufrieden, die Steuergelder sind gut angelegt.
Und nun stellen ein paar wenige Aussenseiter, die schon in
unsere Erbanlage übergegangenen Regeln auf den Kopf. Aber haben wir nicht
diese Menschen mit Burnus und Schleier gerne entweder als reiche Scheichs
aus "Tausend und eine Nacht" oder als Flaschengeister gesehen? Die Reichen
durften dann unsere Phantasie beflügeln und in Sachen Völlerei anregen, die
armen orientalischen Geister verbannte man in die Vorratskammer, um kleine
Kinder zu erschrecken. Aber Hoppla, da sind sie ja wieder diese Geister.
Diesmal nicht aus der Flasche, ohne Krummdolch und Schwert. Sie sind modern
geworden, verschränken nicht mehr nur die Arme und nicken mit dem Kopf, sie
bedienen Computer und haben sich mit modernen Waffen ausgestattet. Mit
Waffen, die wir ihnen einst zum Spielen geschenkt hatten. Natürlich im guten
Glauben - nicht aus Geldgier - diese Wilden sprengen bestenfalls Löcher in
den Boden, um für uns nach Erdöl zu suchen. Wir haben Jahrzehnte lang gute
und wirksame Waffen entwickelt, um mit möglichst wenig Knopfdruck ganze
Städte auszuradieren, um Schiffe zu versenken, um Land zu verbrennen - und
nun? Diese Waffen werden nun plötzlich eingesetzt - unsere Waffen - gegen
uns. Jeder Versuch, dem Feind unsere Waffen, unser Hab und Gut wieder
wegzunehmen scheitert ganz einfach an dessen fehlender
Aufenthaltsbestätigung. Immer, seit Menschengedenken hatten wir Feinde -
aber sowas. Die Veteranen würden sich weigern, einen solchen Feind überhaupt
zu akzeptieren, schweige denn ihn anzugreifen. In solch einem Krieg kann man
nicht mehr als Held sterben, eine Todesart, die sich gerade in
privilegierten Kreisen grosser Beliebtheit erfreut hatte. Der Russe war der
letzte grosse und ehrbare Feind. Er zeigte Charakter, war für einen Angriff
tauglich, hatte klar umrissene Militäranlagen, Häfen, Fabriken, Städte und
ein klar sichtbares Machtzentrum, das der Angreifer in beidseitigem
Einverständnis bei einem Sieg medienwirksam in Schutt und Asche legen durfte.
Die Regenten waren natürlich zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrem Ferienhaus
auf Feindesland oder zumindest dort im Ausland, wo das Preisgeld für den
tapferen Zweiten lagerte. In alten Zeiten, als der Krieg noch in
Pfeilköchern steckte, hörte man meist erst Jahre später von den Feldzügen
und Schlachten. Kein Schrecken war in dieser Meldung mehr. "Es war einmal..."
und Heldenepen blieben übrig, Erzählungen verschönten die Gewalt, die nicht
grausamer oder vielleicht noch grausamer war wie heute. Da war es dann für
die Kirche auch kein Problem, posthum ein paar Schlächter heilig zu sprechen,
denn die Population dieser Spezies war damals noch nicht flächendeckend, man
musste schliesslich expandieren. Und auch diesbezüglich will sich unser
neuer Feind nicht an diese Spielregeln halten, ist unser neuer Feind der
Zeit voraus. Hier werden die Mörder gleich heilig gesprochen, die Taten
nicht lange vertuscht - sie werden publicity-tauglich zu heiligen Handlungen
ernannt - basta. Schon jetzt sporadisch und bald sicher auch regelmässig
‘live’ im Fernsehen zu sehen - eine wahre Bereicherung des Fernsehabends.
Pünktlich um 17 Uhr, zu Kartoffelchips und Cola ein Selbstmordattentat - Ihr
Kinderlein kommet... Die Zeit hat sich geändert. Die Information und
Komunikation kann plötzlich ohne Grenzen und Zensuren von Allen nutzbar
gemacht und erfasst werden. Man kann in andere Länder hineinblicken und es
kommen Botschaften auch heraus. Und plötzlich lernen sich einst verfeindete
Menschen kennen; bemerken, dass seit Generationen ein falsches Bild des
Anderen in ihre Köpfe implantiert wurde. So beginnt eine Freundschaft, man
tauscht Wissen aus, schliesst Firmen zusammen und arbeitet so für einen
echten Frieden. Wer wird schon seine Fabrik in einem anderen Land mit Bomben
bewerfen? Und wo ist nun plötzlich der Feind für den man all die schönen
Waffen gebaut hat, weiter bauen wird und muss? Wir haben ihn, er müsste nur
noch zu finden sein. Und so helfen Feind und Freund zusammen, um dem Bösen,
der nun alle bedroht, eine Form, einen Namen und ein Reich zu geben, damit
man ihn dort erlegen kann. Es ist noch einmal gelungen, man konnte Einen in
die gewünschte Form pressen und mit unseren bewährten Waffen sein Reich
zerstören, doch war es auch wirklich das Reich des Bösen oder war da nur
eine Fata Morgana. Wir sind ohnmächtig, betreiben eine beinahe sinnlose Jagd
auf Funksignale, elektronische Datenübertragungen und Menschen ohne Uniform.
Was bleibt da den armen, teuren Panzern, den vielen Schiffen und Flugzeugen
zu tun? Sie können nur traurig dahin rosten und neidisch den fliegenden
Teppichen nachsehen.
Und wir blicken nach oben und suchen wie immer wenn wir
nicht weiter wissen, einen Gott, Allah, Buddha oder sonstwen, der dafür
verantwortlich gemacht oder vielleicht um Rat gefragt werden kann. Aber auch
hier hat der Feind andere Formen angenommen, hat die Hörner gegen eine
unauffällige Kopfbedeckung getauscht und sein Outfit modernisiert, ist
deshalb nicht mehr zu erkennen. Der Teufel wurde so nach vielen Dienstjahren
von seinem Chef einfach entlassen, sein Reich, die Hölle dem Erdboden
gleichgemacht und er ohne festen Wohnsitz sich selbst überlassen oder in
eine einflussreiche Position geschmuggelt. Doch dafür hat sich das Reich des
Guten für jeden geöffnet, bietet Jedem Zugang, hat für Jeden ein offenes Ohr
- ja für Jeden. Und so können wir kleinen Bürger nur hoffen, dass sich die
Gespräche in den Hallen des Guten in die richtige Richtung bewegen. Es gibt
leider keine Aktien von Gut und Böse, man kann die Interessen und Ziele
nicht an einem steigenden oder fallenden Kurs erahnen. Doch irgendetwas ist
da im Busch. Fusionsgerüchte wurden bisher jedoch dementiert.
andy
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