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June, 2004 - Nr. 6

 

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Vorsicht Satire!


Andreas Georg BöckBeinahe ein Märchen

Terrorismus, der heimatlose Krieg

 Schreckensmeldungen von Bombenanschlägen, Reportagen über Geisselnahmen und Selbstmord-Attentäter, Tote und Verletzte, wir hören davon täglich. Jeder ist entzetzt, doch durch die tägliche Wiederholung verliert jede weitere Meldung mehr und mehr an Schrecken. Der einstweiligen Ohnmacht folgt bald Gleichgültigkeit, nur gestört von gezielt wirksamer Pro- und Contra-Wahlpropaganda der Politiker. Die junge Generation wächst damit auf, die Älteren kennen ganz andere Meldungen aus dem Krieg. Und wir haben wieder Krieg. Doch er findet nicht mehr nur vor der Haustüre statt; er fordert aber viel weniger Tote als die Schlachten der Kriege, bei denen oft Zigtausende von Toten gezählt wurden; er findet eben meist in der Ferne statt. Nur haben wir mit dem Feind selbst unsere Probleme. Er ist nicht fassbar und doch allgegenwärtig - unter uns - und doch unsichtbar. Wie sollen wir einen Feind bekämpfen, wenn wir ihn gar nicht erkennen? Er hat zwar einen Namen bekommen, ist dadurch aber genauso anonym wie die Masse der Menschen selbst. Bisher hatten wir klar umrissene Feinde. Man erkannte sie - an der Hautfarbe, an der Kleidung, der Uniform, an der Haartracht, an der Fahne, an der Lebensweise, der Sprache und zusätzlich wohnten sie an einem bestimmten Ort. Sie hatten also das, was man von einem ehrlichen Feind als Mindestbeitrag verlangen konnte, einen festen Wohnsitz. Und sie hatten Besitz, also Werte, die es zu erbeuten lohnte. Nicht zuletzt deshalb durfte der Feind stolz sein, stolz sterben, Hauptsache er hat dies auch getan und hinterliess viele Werte. Und was haben diese neuen Krieger - nichts von Allem. Wir brauchen aber einen Feind - ein Feindbild und einen Platz, wo dieser wohnt, klar lokalisierbar ist - Realität ist, zählbare Leichen hinterlässt. Man muss schliesslich wissen, wie das Verhältnis steht. Es ist ein Vertrauensindex, der täglich durch den Äther geschickt wird. Mit 200:1 ist der Bürger zufrieden, die Steuergelder sind gut angelegt.

Und nun stellen ein paar wenige Aussenseiter, die schon in unsere Erbanlage übergegangenen Regeln auf den Kopf. Aber haben wir nicht diese Menschen mit Burnus und Schleier gerne entweder als reiche Scheichs aus "Tausend und eine Nacht" oder als Flaschengeister gesehen? Die Reichen durften dann unsere Phantasie beflügeln und in Sachen Völlerei anregen, die armen orientalischen Geister verbannte man in die Vorratskammer, um kleine Kinder zu erschrecken. Aber Hoppla, da sind sie ja wieder diese Geister. Diesmal nicht aus der Flasche, ohne Krummdolch und Schwert. Sie sind modern geworden, verschränken nicht mehr nur die Arme und nicken mit dem Kopf, sie bedienen Computer und haben sich mit modernen Waffen ausgestattet. Mit Waffen, die wir ihnen einst zum Spielen geschenkt hatten. Natürlich im guten Glauben - nicht aus Geldgier - diese Wilden sprengen bestenfalls Löcher in den Boden, um für uns nach Erdöl zu suchen. Wir haben Jahrzehnte lang gute und wirksame Waffen entwickelt, um mit möglichst wenig Knopfdruck ganze Städte auszuradieren, um Schiffe zu versenken, um Land zu verbrennen - und nun? Diese Waffen werden nun plötzlich eingesetzt - unsere Waffen - gegen uns. Jeder Versuch, dem Feind unsere Waffen, unser Hab und Gut wieder wegzunehmen scheitert ganz einfach an dessen fehlender Aufenthaltsbestätigung. Immer, seit Menschengedenken hatten wir Feinde - aber sowas. Die Veteranen würden sich weigern, einen solchen Feind überhaupt zu akzeptieren, schweige denn ihn anzugreifen. In solch einem Krieg kann man nicht mehr als Held sterben, eine Todesart, die sich gerade in privilegierten Kreisen grosser Beliebtheit erfreut hatte. Der Russe war der letzte grosse und ehrbare Feind. Er zeigte Charakter, war für einen Angriff tauglich, hatte klar umrissene Militäranlagen, Häfen, Fabriken, Städte und ein klar sichtbares Machtzentrum, das der Angreifer in beidseitigem Einverständnis bei einem Sieg medienwirksam in Schutt und Asche legen durfte. Die Regenten waren natürlich zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrem Ferienhaus auf Feindesland oder zumindest dort im Ausland, wo das Preisgeld für den tapferen Zweiten lagerte. In alten Zeiten, als der Krieg noch in Pfeilköchern steckte, hörte man meist erst Jahre später von den Feldzügen und Schlachten. Kein Schrecken war in dieser Meldung mehr. "Es war einmal..." und Heldenepen blieben übrig, Erzählungen verschönten die Gewalt, die nicht grausamer oder vielleicht noch grausamer war wie heute. Da war es dann für die Kirche auch kein Problem, posthum ein paar Schlächter heilig zu sprechen, denn die Population dieser Spezies war damals noch nicht flächendeckend, man musste schliesslich expandieren. Und auch diesbezüglich will sich unser neuer Feind nicht an diese Spielregeln halten, ist unser neuer Feind der Zeit voraus. Hier werden die Mörder gleich heilig gesprochen, die Taten nicht lange vertuscht - sie werden publicity-tauglich zu heiligen Handlungen ernannt - basta. Schon jetzt sporadisch und bald sicher auch regelmässig ‘live’ im Fernsehen zu sehen - eine wahre Bereicherung des Fernsehabends. Pünktlich um 17 Uhr, zu Kartoffelchips und Cola ein Selbstmordattentat - Ihr Kinderlein kommet... Die Zeit hat sich geändert. Die Information und Komunikation kann plötzlich ohne Grenzen und Zensuren von Allen nutzbar gemacht und erfasst werden. Man kann in andere Länder hineinblicken und es kommen Botschaften auch heraus. Und plötzlich lernen sich einst verfeindete Menschen kennen; bemerken, dass seit Generationen ein falsches Bild des Anderen in ihre Köpfe implantiert wurde. So beginnt eine Freundschaft, man tauscht Wissen aus, schliesst Firmen zusammen und arbeitet so für einen echten Frieden. Wer wird schon seine Fabrik in einem anderen Land mit Bomben bewerfen? Und wo ist nun plötzlich der Feind für den man all die schönen Waffen gebaut hat, weiter bauen wird und muss? Wir haben ihn, er müsste nur noch zu finden sein. Und so helfen Feind und Freund zusammen, um dem Bösen, der nun alle bedroht, eine Form, einen Namen und ein Reich zu geben, damit man ihn dort erlegen kann. Es ist noch einmal gelungen, man konnte Einen in die gewünschte Form pressen und mit unseren bewährten Waffen sein Reich zerstören, doch war es auch wirklich das Reich des Bösen oder war da nur eine Fata Morgana. Wir sind ohnmächtig, betreiben eine beinahe sinnlose Jagd auf Funksignale, elektronische Datenübertragungen und Menschen ohne Uniform. Was bleibt da den armen, teuren Panzern, den vielen Schiffen und Flugzeugen zu tun? Sie können nur traurig dahin rosten und neidisch den fliegenden Teppichen nachsehen.

Und wir blicken nach oben und suchen wie immer wenn wir nicht weiter wissen, einen Gott, Allah, Buddha oder sonstwen, der dafür verantwortlich gemacht oder vielleicht um Rat gefragt werden kann. Aber auch hier hat der Feind andere Formen angenommen, hat die Hörner gegen eine unauffällige Kopfbedeckung getauscht und sein Outfit modernisiert, ist deshalb nicht mehr zu erkennen. Der Teufel wurde so nach vielen Dienstjahren von seinem Chef einfach entlassen, sein Reich, die Hölle dem Erdboden gleichgemacht und er ohne festen Wohnsitz sich selbst überlassen oder in eine einflussreiche Position geschmuggelt. Doch dafür hat sich das Reich des Guten für jeden geöffnet, bietet Jedem Zugang, hat für Jeden ein offenes Ohr - ja für Jeden. Und so können wir kleinen Bürger nur hoffen, dass sich die Gespräche in den Hallen des Guten in die richtige Richtung bewegen. Es gibt leider keine Aktien von Gut und Böse, man kann die Interessen und Ziele nicht an einem steigenden oder fallenden Kurs erahnen. Doch irgendetwas ist da im Busch. Fusionsgerüchte wurden bisher jedoch dementiert.

andy

 

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