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October 2000 - Nr. 10

 

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Zum 10. Jahrestag der deutschen Vereinigung 
am 3. Oktober 2000


Von Bundeskanzler Gerhard Schröder

Der 3. Oktober ist für uns Deutsche ein Feiertag im besten Sinne des Wortes - Vor zehn Jahren, am 3. Oktober 1990, haben die Menschen aus der ehemaligen DDR in freier Selbstbestimmung den Beitritt zur Bundesrepublik vollzogen. Die staatliche Einheit Deutschlands konnte nach mehr als 40 Jahren Trennung - die im wesentlichen eine Folge der verbrecherischen Politik des Hitler-Regimes gewesen war - wiederhergestellt werden.

Die Vereinigung hatte viele Väter und Mütter. Viele, die damals auf beiden Seiten in Deutschland oder auch bei unseren Nachbarn und Freunden im Ausland politische Verantwortung trugen, haben sich unzweifelhaft große Verdienste erworben. Aber das entscheidende Moment für den Fall der Mauer war doch die Zivilcourage Tausender Deutscher in der DDR, die sich von Staatsmacht und Geheimdienst nicht länger einschüchtern ließen und gewaltlos für ihre Rechte, für Freiheit und Demokratie auf die Straße gingen.

Gerade auch zum 10. Jahrestag der Vereinigung verdient festgehalten zu werden: Die Mauer wurde nicht in Bonn, Washington oder Moskau zum Einsturz gebracht. Sondern sie wurde von den Menschen in Deutschland eingedrückt, und zwar von Ost nach West.

Unser besonderer Dank gilt allerdings in diesen Tagen auch unseren Nachbarn in Ost- und Mitteleuropa. Ohne den beherzten Einsatz der Völker in Polen, Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei, ohne die Öffnung des Eisernen Vorhangs durch unsere Nachbarn hätte die friedliche Revolution in Ostdeutschland wohl kaum so rasch zum Erfolg geführt.

Mit der beschlossenen Osterweiterung der Europäischen Union werden wir nicht nur das europäische Einigungswerk vollenden können, sondern wir erkennen auch ausdrücklich die Fortschritte im politischen und wirtschaftlichen Reformprozess unserer Nachbarstaaten an. Dabei ist die Osterweiterung keineswegs eine bloße Geste der Dankbarkeit: Sie ist vielmehr im unmittelbaren wirtschaftlichen und politischen Interesse Deutschlands. Insbesondere die Menschen in den östlichen Grenzregionen werden auf mittlere Sicht von den neuen Märkten und Möglichkeiten spürbar profitieren; ganz Europa gewinnt an Sicherheit und Stabilität.

Es ist schon wahr: Das Ziel einer sehr raschen Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland konnte leider nicht überall so schnell erreicht werden, wie es wünschenswert gewesen wäre.

Auch im zehnten Jahr der deutschen Einheit ist zum Beispiel die Arbeitslosigkeit in Teilen Ostdeutschlands immer noch bedrückend hoch. Doch wer, wie ich in den letzten Wochen, Gelegenheit hatte, die nun nicht mehr so „neuen" Länder ausgiebig zu bereisen, kommt gar nicht umhin, die geleistete Aufbauerbeit und den großartigen Einsatz der Menschen zu bewundern. An vielen Orten sind hoch moderne Produktionsanlagen, Technik- und Dienstleistungsbetriebe entstanden, die schon heute die Konkurrenz auf den Weltmärkten nicht scheuen müssen. Das hohe Qualifikationsniveau und Engagement der Menschen wird hier auch weiterhin für große Fortschritte sorgen.

Bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit haben wir in den ostdeutschen Ländern nicht zuletzt durch das Sonderprogramm der Bundesregierung überdurchschnittliche Erfolge erzielen können. Aber wir alle müssen uns darüber im klaren sein, dass noch ein großes Stück des Weges vor uns liegt. Die weitere finanzielle Unterstützung der Aufbauleistungen in Ostdeutschland wird deshalb auch über den bis 2004 laufenden „Solidarpakt" hinaus notwendig sein, Die Bundesregierung wird hierzu mit den Ländern eine tragfähige Folgevereinbarung treffen,

Aber auch im Westen Deutschlands hat die Vereinigung vieles verändert. 1999 hat die Bundesregierung wieder ihren Sitz in der Hauptstadt Berlin nehmen können. Der Druck auf Politik und Gesellschaft zu Reformen und Modernisierung ist erheblich gewachsen. Mit dem Zukunftsprogramm, der Steuer- und Rentenreform hat die Bundesregierung die ersten, dringenden Schritte zur Auflösung des Reformstaus unternommen. Doch bei der Modemisierung unseres Landes ist die gesamte Gesellschaft gefordert- Jeder einzelne muss sich den Herausforderungen einer sich rasant verändernden Welt stellen. Dabei kann uns der Rückblick auf die großen Leistungen der Vereinigung und des Aufbaus nur Ansporn sein.

Das gilt sicher auch für das schlimmste Kapitel der noch jungen Geschichte des deutschen Einheit: den immer noch nicht überwundenen Fällen von Rechtsradikalismus, Gewalt und Rassenhass in ganz Deutschland. Neonazistische Propaganda und Fremdenhass rühren an die Grundwerte, die unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhalten.

Wir dürfen und werden es nicht zulassen, dass kriminelle Banden sich das Recht herausnehmen wollen zu bestimmen, wer bei uns leben und arbeiten darf. Das werden Staat und Gesellschaft nicht zulassen. Denn zur Bekämpfung rechtsradikaler Umtriebe und ausländerfeindlicher Straftaten sind die entschlossene Verteidigung des Rechtsstaats und seines Gewaltmonopols ebenso vonnöten wie eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und Bürgern.

Der Schutz unserer Mitmenschen, gleich weicher Konfession und Hautfarbe, ist auch ein Schutz unserer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft.

Ich bin sicher, dass die Deutschen in Ost und West auch diese Herausforderung meistern werden. Damit wir gemeinsam das weltoffene, tolerante und gerechte Deutschland bauen, in dem auch unsere Kinder frei von Angst und Sorgen leben können.

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