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October 2000 - Nr. 10

 

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10 Jahre und ein bißchen leise...

Andreas Georg BöckAlleine das Wort "Wiedervereinigung" gibt zu denken, sagt doch nur, daß vorher alles vereinigt war, verschweigt aber eine vorherige Streuung, die zu einer Vereinigung geführt hatte. Was früher Nord- und Südkonflikt war ist heute Ost- und Westkonflikt. Gewollt oder auch nicht, er besteht – muß bestehen.

Über mehr als vierzig Jahre wurden die heute alten Menschen im Osten systematisch umerzogen. Es war schwieriger als bei der heranwachsenden Jugend. Diese wuchs in das sozialistische System, akzeptierte es. Keinem ging es schlecht, jeder hatte seine Chance, seine Ausbildung und seine Arbeit. Daß dieses System gesponsort wurde, wußten nur Wenige und diese wollten es nicht wissen. Die damals im Westen verbreiteten Märchen von Hunger und Elend waren politische Lügen und Hetzcampagnen. Der Westen war nach dem Krieg nur Dank ausländischer Hilfe in der Lage, sich schneller zu erholen, einen gewissen Luxus aufzubauen. Über den Osten wurde gelächelt, seitdem der Westdeutsche für zwanzig Personen eine zweite Toilette hatte und für alle zusammen eine Badewanne. Leider gibt es keine Statistik darüber, wieviele Haushalte anno 1960 eine eigene Toilette oder gar Badewanne besaßen. Eine Dusche hatten nur Millionäre. Man vergißt diese Tatsachen schnell in einer Zeit, wo während der Installation eines soeben gekauften Computers dieser schon wieder altmodisch ist.

Im Westen war die, heute alte Generation nichts anderes wie im Ostteil Deutschlands. Sie mußten genauso Schutt und Trümmer beseitigen und aus dieser Steinwüste wieder etwas erstellen, das einer menschlichen Behausung einigermaßen dienen konnte. Sie blieben nur von einer aufgezwungenen Änderung der Ideologie verschont.

Dank der Freien Marktwirtschaft, dank der Hilfe eines kapitalkräftigeren Auslands, das der Osten nicht hatte, ist der Westen schneller aus den Bunkern gekommen als der ostdeutsche Teil.

Unter den selben Voraussetzungen hätte die ältere Generation im Osten die selben Erfolge erzielt, wie die andere Seite im Westen.

Doch auf beiden Seiten zählte in den ersten Stunden und Tagen nach dem Kriegsende nur Unterkunft, Wärme und Ernährung. Keine Seite hatte Zeit, Blicke auf die andere Seite zu werfen. Doch im Menschen wohnt der Neid, was nicht das alleinige Problem von Ost- und Westdeutschland ist.

Den Kopf kaum aus der Ackerfurche wurden hüben wie drüben Geschichten von der anderen Seite erzählt. Keine dieser Storys war richtig, alle auf diese oder jene Weise übertrieben. Im Westen erzählte man, daß Ostsoldaten, als sie eine Banane sahen, diese für eine Pistole hielten, in eine Orange bissen, ohne diese zu schälen usw.

Im Osten erzählte man, daß der Kapitalismus in Westdeutschland Bilder und Geschichten extra in den Osten schmuggelt, um eine Unzufriedenheit über das einzig richtige System zu schüren. Keine Nachricht sei richtig, die Arbeiter seien Leibeigene der Industrie, die wiederum dem Erzfeind Amerika gehört.

So driftete die einst gemeinsame Insel auseinander. Durch Lügen auf dieser, wie auf jener Seite entwickelte sich mit den Jahren ein gewisser Haß zwischen den Brüdern. Keiner kann dies heute erklären. Doch wenn man etwas einhundert mal liest und im Radio hört, glaubt man, ob man will oder nicht. In Sachen Propaganda waren wir Deutschen schon immer führend – Ost wie West – für gute und schlechte Propaganda.

Doch bald waren Nachrichten nicht mehr zu manipulieren. Die Technik machte Fortschritte, der Wessi blickte in die Ossiwelt und auch der Ossi konnte in die Wessiwelt blicken, wenn auch mit vielen Problemen. Verboten war es! Doch schon Kinder können dem Reiz des Verbotenen nicht widerstehen, wie erst Jugendliche die auf der Suche nach Neuem sind. Der Osten – das Regime, nicht der Bürger – begann sich aber nun mehr und mehr einzukapseln, mit Verboten und der Androhung schwerer Strafen das Idyll vom glorreichen Kommunismus zu halten.

Im Osten war bald der Höhepunkt des Zweifelns am System erreicht – im Westen leider der Höhepunkt, den Osten lächerlich zu machen. Hier sei nur das Verhältnis Ost- und Westdeutschland angesprochen nicht die gesamte Misere zwischen - am Ende Nato und Sowietunion und deren wirtschaftlichen Hintergründen. Alleine die Sperre von Weizenlieferungen aus Kanada, den USA und Westeuropa hätte das fruchtbarste Land der Erde an den sofortigen Ruin gebracht. Der Kommunismus hatte kapituliert. Den Deutschen wurde wieder ein Stück Deutschland geschenkt.

Und plötzlich kam die Wiedervereinigung!

Euphorie, Siegesfeiern im Westen, Befreiungsfeiern im Osten, Freude ohne Grenzen!

Geschwister konnten sich treffen, ohne Visas, Zwangsumtausch und Kontrolle.

Eine Lawine überrollte Westdeutschland. Man geht ja schließlich dahin, wo die Brathähnchen – sprich Broiler – mit Pommes auf den Bäumen wachsen. Kaum ein Westdeutscher fuhr in den Osten.

Doch der Alltag ist sehr schnell Realität. Nun begannen sich Probleme zu entpuppen, mit denen niemand gerechnet hatte. Sie waren plötzlich da, wurden aber von Politikern, die in die Geschichtsbücher eingehen wollen, sofort zur Bagatelle erklärt. Das im Ausland gehaßte Protzen des Deutschen wurde hier auf höchster politischer Ebene zur Vollkommenheit getrieben.

Von einem Tag auf den Anderen standen sich Welten gegenüber. Verschiedene Gesinnungen, anerzogen und eingebleut. Verschiedene Währungen, die nicht den Deut einer Gleichheit in der Wertstellung hatten. Gesetze, die soweit auseinanderklafften, daß es Hohn war. Das Motto, wer im Westen auf Grund der Überzeugung Ost mordet, kommt hier lebenslang ins Gefängnis, wird in den USA hingerichtet, bekommt im Ossiland aber das Ritterkreuz am Bande. Diese und noch schlimmere "Witze" verbreiteten die Gegner der Wiedervereinigung. Sogar im Radio wurden sie zum Besten gegeben, heute noch in Fernsehsendungen sehr beliebt der Witz über den blöden und faulen Ossi.

Es ist eine Schande! Erzähle man in Deutschland derartige Witze über Juden, über Neger oder andere Minderheiten, man würde eingesperrt!

Doch diese Menschen, die eben solche Witze verbreitet haben, meinten dies nicht als Witz. Es war der Versuch etwas rückgängig zu machen, und zwar aus Angst.

Parteien, Minister, Industrie und die Kirche hatten mit dem maroden System der ehemaligen DDR gute Geschäfte gemacht. Der Handel über Ungarn, Tschechien, Vietnam, Kuba, der durch Vermittlung der Staaten Honduras, Libyen usw. florierte. Die Hermes-Bank garantierte Kredite, die von Bayern und Österreich und deren Ministern "gratis" überreicht wurden. In Honeckers Jagdschloß verkehrten am Ende nur südwestliche Politiker. Es sind Tatsachen, die seltsamerweise niemanden mehr wachrütteln.

 

Die Vereinigung war Realität, wie auch das alte Prinzip von Angebot und Nachfrage wieder realistisch wurde. Plötzlich waren im Westen Arbeitsstellen besetzt, die kein Arbeitsloser hier je angenommen hätte. Der Wessi fühlte sich von Ossis und Türken, ausgetrickst. Er ist frustriert, daß diese Leute (Scheiß Ossis und Kanakengesindel) hier Arbeit finden. Das ist heute so, war schon vor 10 Jahren so. Er beneidet den Zusammenhalt der Familien aus dem Osten, wie auch den von Ausländern. Im Wessiland gibt es sowas nicht mehr, denn Not in jeder Beziehung (Warenbeschaffung, Material) ist und war seit Jahren kein Thema mehr. Im Westen hatte man alles. Die anderen mußten improvisieren, wurden dadurch kreativ und sehr flexibel. Die Ossis rückten zusammen, bauten Häuser, erarbeiteten sich Grundlagen. Die Wessis rückten schon innerhalb der Familie auseinander – man hatte alles, war auf keinen mehr angewiesen – stand aber plötzlich alleine da. Daß nur die Masse, die Familie, der Zusammenhalt – eben die Gemeinschaft - etwas Greifbares schaffen kann, ist hier durch Überdruß und Überfluß verlernt worden. Doch einen Schritt zurück, der eigentlich ein Schritt nach Vorne wäre, will niemand gehen. Stolz bis zum Fall.

Das Ergebnis dieser Konfrontation regt zum Nachdenken an.

Der Ossi macht aber nun all das, was man ihm vorher nicht zugetraut hätte. Er sieht, schaut vom Wessi ab und macht es gar noch besser. Der Wessi hat das nicht nötig, denn er weiß es bereits, kann es schon oder hat Bekannte oder einen Bruder, der es ohnehin besser kann. Doch er setzt es nicht mehr in die Tat um.

So sind langsam im Westen der BRD immer mehr mittelständische Betriebe in der Hand von Ossis, Türken und anderen Ausländern. Kaum noch ein Gemüsehändler, eine Änderungsschneiderei, ein kleiner, flexibler Sanitärbetrieb, ein Rohrleitungsreiniger der 24 Stunden verfügbar ist, Imbiß oder Restaurant, wird von Westdeutschen Bürgern betrieben. Bei Straßenreinigung und Müllabfuhr – obwohl sehr gut bezahlt – trifft man keinen Ortsansässigen mehr.

Doch ein neues – altes Problem hat sich nach der Wiedervereinigung auf allen Ebenen ausgebreitet. Hiervon waren und sind heute noch keinerlei Gruppen und Institutionen verschont geblieben, ja sie sind oft selbst darin verwickelt. Es sind nicht die Ladendiebe, die zum Überleben klauen, vor Gericht kommen und schließlich wegen fünf Mark ins Gefängnis wandern. Es sind die Smoking-Banditen! Ost und West können hier mit besten Referenzen aufwarten. Keine Kripo, kein Wirtschaftsdezernat ist so schnell, so erfinderisch wie eben diese Berufsgruppe.

Die Mauer war noch nicht zur Hälfte gefallen, da waren schon Versicherungsvertreter, Franchiser, Bausparfachleute, Chinchilla-Züchter, Geldvermehrungsexperten aus allen Bereichen (vor allem Banken) im Osten und haben Verträge eingeheimst. Die wirklich Unwissenden wurden derart brutal über den Tisch gezogen, daß sie bis in die Ewigkeit Schulden abzahlen dürfen bzw. müssen. Die Banken taten ihr Bestes dazu. Es war Normalität, daß ein junger Mensch, der von Drüben kam (logischerweise keine negative Auskunft – Schufa – haben konnte) ohne Probleme mit einem Nachweis als Angestellter und einem gültigen Ausweis DM 50000.- Kredit bekam. Dies bei einem Einkommen von etwa eintausendachthundert Mark BRUTTO! Skrupel gab es nicht! Die Ossis kauften sich hier Autos zu überhöhten Preisen. Der Gebrauchtwagenmarkt florierte. Die ganzen alten BMW’s konnte mit Preisen an den Mann gebracht werden, die Wochen zuvor noch Lachsalven ausgelöst hätten. Jeder freute sich über die Dummheit dieser Menschen. Viele sind so auf der Strecke geblieben, haben ihre Eigentumswohnung nicht mehr sondern nur noch Schulden und Notarkosten.

Viele – sehr viele leben heute mit Familie vom Sozialamt. Das wird ihnen auch noch beneidet, denn sie sind faul und dumm – genauso, wie sie eben sein sollen, damit man selber gut dasteht.

Dann gab es noch die Ossis, die im Osten blieben. Sie hatten einmal einen kleinen Betrieb, eine kleine Landwirtschaft, eine kleine Produktion. Doch diese Betriebe waren schon von Wessis gekauft, bevor Ossi eine Ahnung hatte, was die DM wirklich Wert ist. Betrieb und Produktion wurden sofort eingestellt, das Land verkauft und der Gewinn war sicher. Daß sich diese Leute eine neue Existenz schaffen konnten war unmöglich auf Grund des Rückstandes in Maschinen- und Produktionstechnik. Im besten Fall konnten sie als Hilfsarbeiter in den Hauptsitz der Firma gehen, die sie ruiniert hat. Daß dabei ein übergroßer Arbeitseifer entsteht ist beinahe unmöglich.

Doch die Chefs der Information und der Medien sind immer noch die Westdeutschen, womit ein Sprachrohr des Ostens praktisch nicht existiert.

So weiß die Allgemeinheit mehrheitlich nur von den Sozialbetrügern aus dem Osten Bescheid.

Doch es gibt und gab sie wirklich - und nicht zu wenig!

Tatsache ist, daß in den Nächten der Wiedervereinigung einiges in Paß- und anderen Ämtern abgelaufen ist, was nicht zum normalen Arbeitsbereich der Verantwortlichen gehörte. Um die Möglichkeiten abzuschätzen, was sich aus manipulierten Unterlagen machen läßt, bedarf es sicher keiner großen Phantasie. Natürlich wurden nicht nur Unterlagen neu erstellt, es verschwanden auch sehr viele Akten auf unerklärliche Weise zum Vorteil und nur zum Vorteil sehr Vieler. So haben heute viele ein gesichertes Einkommen, eine gute Position oder eine gute Rente, ohne dazu berechtigt zu sein.

Doch Menschen, die nicht oder nicht viel arbeiten wollen und trotzdem gerne und gut leben möchten, gibt es überall. Gerade diese Menschen lernen sehr schnell, wie das zu bewerkstelligen ist. Viele Ossis haben von den Wessis gelernt, wie man vom Sozialstaat leben und ohne Probleme noch etwas steuerfrei dazuverdienen kann. So sind viele Arbeitslose und Dauerkranke geradezu im Streß, um alle Schwarzarbeiten termingerecht abschließen zu können, bevor es in den wohlverdienten Urlaub geht.

Doch diese Art der Sozialbetrüger macht zwar die Masse der Betrügereien aus, doch nicht die Masse an ergaunertem Geld. Dieser Bereich ist das Monopol der oberen Schichten, in denen vor allem die Wessis sehr stark vertreten waren und auch heute noch sind. Wieviele Milliarden an Schaden nach der Wiedervereinigung entstanden ist, kann niemand abschätzen und wird auch nie jemand erfahren. Ermittlungen in dieser Richtung erweisen sich als sehr schwierig und sind oft von vornherein zum Scheitern verurteilt, müßte doch so Mancher wahrscheinlich gegen sich selbst ermitteln.

Nutzungsrechte, Firmen, Ländereien, Häuser, ja ganze Stadtteile und Institutionen sind nach der Wende an den ‘Meistbietenden’ "verkauft" worden. Für "nen Appel und ‘n Ei" wurden diese milliardenträchtigen Objekte und Einrichtungen teilweise unter der Hand an einfluß-Reiche und Reiche Personen und Firmen vergeben. Kein Ossi war dabei, es ging alles Richtung West.

Noch heute kann man tagtäglich lesen (letzte Meldung 26.09.00), daß wieder ein Skandal aufgedeckt wurde, bei dem über 10 Millionen DM verschwunden sind. Der Beschuldigte ist vermutlich in Brasilien untergetaucht . . . – war ein hoher Beamter.

Doch es gibt tatsächlich noch eine Mitte, die dem ganzen Problem der Wiedervereinigung ein Fundament gibt und zugleich die Masse ausmacht. Es sind die braven und fleißigen Bürger in Ost und West, die unser System und damit eine gesunde Grundlage erhalten. Sie sind es, die durch Willen und Fleiß unser aller Kinder eine Zukunft schaffen.

Doch traurig ist, daß die fähige Mitte von Westunternehmen abgeworben wurde, nun im Osten fehlt. Fleißige, tüchtige und gebildete Menschen gingen in den Westen, ließen – auf Grund der besseren Bezahlung – ihre Heimat im Stich, was ja verständlich ist. So hat der Osten zu wenig Führungskräfte und wurde damit einer gewissen Elite beraubt. Das Ergebnis sind Arbeitslosenquoten von bis zu 22%. Vergleichbar das Land Bayern mit 9%, gebietsweise nur 3%.

Da nützen auch keine Alibi-Aktionen der Regierung. Es nützt nichts, wenn Firmen angeködert werden, sich in Ossi-Land anzusiedeln, um mit Steuerermäßigungen, Zuschüssen, billigen – von Arbeitsämtern bezahlten – Arbeitskräften und Subventionen zur Erhaltung des Industrieraumes XY beizutragen.

Die Regierenden müssen eines noch vom Volk, dem sie eigentlich auch angehören sollten, lernen: Ohne die Gemeinschaft, ohne gemeinschaftliche Ziele und dem Willen der Allgemeinheit geht nichts.

Der Zusammenhalt muss gefördert, ein gemeinsames Ziel angestrebt werden, alle müssen am Ergebnis des Erfolges teilhaben können, sonst wird in Zukunft die Elite von Ost und West im Ausland arbeiten, was bedeutet, dass auch der Goldene Westen ein Entwicklungsland wird.

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