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December 2010 - Nr. 12
Merry Christmas and the best of Seasons from Echo Germanica

Liebe Sybille, lieber Herr Wandschneider,

heute ist Volkstrauertag, natürlich auch hier in Moskau. Ich möchte dieses Datum zum Anlass nehmen mich kurz bei Ihnen zu melden und Ihnen zu berichten:

Nach Ihrer Mail im Dezember 2008 hatten wir uns kurzfristig entschieden, noch im gleichen Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr aus Moskau kommend nach Kitchener zu fliegen. Gott sei Dank, möchte ich sagen!

Für meinen Vater war das natürlich nicht nur ein bewegendes, überraschendes Erlebnis sondern bedeutete sicher auch ein klein wenig ein Abenteuer, zum ersten Mal den Atlantik zu überqueren.
Über das Internet hatten wir eine Unterkunft bei Frau Monika Ruttkowski gefunden - vielleicht kennen Sie das Gefühl, manche Menschen hätte man ganz einfach früher im Leben treffen sollen. Wir verbrachten in ihrem Haus wunderschöne Tage und erlebten eine Wärme und eine Gastfreundschaft, die wir nie vergessen werden.

Es gibt Momente, bei denen kann man sich auch nach Jahren noch ganz genau erinnern, wie man sie erlebte. Ein solcher Moment war, als wir mit dem Auto (!) auf den Woodland-Friedhof fuhren und am äußersten Ende die Kriegsgräber problemlos so fanden, wie von Ihnen vorab beschrieben. Wir hatten mit sehr viel Schnee gerechnet und waren entsprechend ausgerüstet, um die Grabkreuze freifegen zu können und so die Namen lesen zu können. Nun, vermutlich war dies aber der wärmste Winter seit 100 Jahren und alles erstrahlte in schönstem Grün.

So standen wir dann nach über 60 Jahren vor dem Grab meines Großvaters, der sinnlos wie 60 Millionen weitere Menschen viel zu früh die Welt verlassen musste. Das beigelegte Photo hat für mich eine besondere Bedeutung. Nicht, weil es vier Generationen noch einmal zusammenbringt sondern weil es das letzte Photo ist, das ich zusammen mit meinem Vater machen konnte. Wenige Tage später zurück in Deutschland hatte er einen schweren Unfall mit einer Kopfverletzung; aus dem resultierenden Koma erwachte er nicht mehr und verstarb einige Monate später. - Wir hatten für ihn Photos unserer Kanadareise stark vergrößert und ich hatte den Eindruck, dass mein Vater in seinen wenigen Wachphasen darauf irgendwie reagierte.

Ist das nicht eine Ironie, eine Laune des Schicksals? - Mein Großvater verstarb an einer Kopfverletzung in kanadischer Gefangenschaft, mein Vater wenige Tage nach dem Besuch in Kanada ebenfalls. So war das nicht nur die letzte Gelegenheit, das Grab zu besuchen, sondern diese Reise bedeutete auch den letzten nachhaltigen Eindruck, den mein Vater auf seinem Weg in ein neues unbekanntes Land mitnahm.

Ich bedanke mich bei Ihnen beiden und bei Frau Ruttkowski ganz herzlich für die freundliche Unterstützung, ohne die wir den weiten Weg wohl nicht gewagt hätten und ich bin mir sicher, dass wir zurückkehren werden nach Kitchener.
Frau Ruttkowski bringt sogar ab und an ein paar Blümchen vorbei. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei den kanadischen Schulkindern, die die Kriegsgräber zweijährig pflegen und die Namen der Grabsteine nachziehen. Erinnerungen wach zu halten, bedeutet Fehlern aktiv vorzubeugen.

"Heimat - A German Dream", so heißt der Titel eines Buches von Elizabeth Boa. Ja, für uns Deutsche im Ausland ist das wichtig, weil Heimat Wurzel, Bezugspunkt und Erinnerung bedeutet. Wer kennt nicht die halbverdrückte Träne, wenn man am Heiligabend in der pakistanischen Wüste die Kirchenglocken des Kölner Doms über das Radio hört? - Aber was ist Heimat? Es ist sicher mehr als eine Stadt, ein Dorf, ein Haus - Heimat ist ein Gefühl, ist "erinnert werden", ist die Geborgenheit im Kreis bekannter Menschen. Anders als der Großvater meiner Frau, der unbekannt irgendwo zwischen Orscha und Minsk in weißrussischer Erde seit 1944 vermisst liegt, bin ich in diesem Sinne stolz sagen zu dürfen, dass mein Großvater im Kreise von Kameraden und - wieder gewordenen - kanadischen Freunden in fast heimatlicher kanadischer Erde ruht. - Danke!

Liebe Sybille, lieber Herr Wandschneider, bitte grüßen Sie Ihre Gäste während der heutigen Zeremonie von uns. Ich wünsche Ihnen für Ihren heutigen Tag viele aktive Teilnehmer und aufmerksame Zuhörer - ich werde in Gedanken bei Ihnen sein - und wünsche Ihnen beiden und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gesundes, zufriedenes neues Jahr 2011.

Mit lieben Grüßen aus Moskau, Ihr Hans Jürgen Wio

Vier Bilder erzählen eine Geschichte
Das Grab auf dem Woodland-Friedhof
Vier Generationen
Die Familie




Ceremony at Woodland Cemetery

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