Diese Frage ist von der gleichen –
vielleicht auch grossen Bedeutung – wie jene, die ein römischer
Stadthalter vor 2000 Jahren stellte, als er fragte: Was ist
Wahrheit?
Nun verbinden wir die beiden Fragen und formulieren: Kann
Schönheit Wahrheit sein? Und, ist die Wahrheit jemals schön?
Oder dient die Schönheit dazu, die Wahrheit zu beschönigen?
Dieses Adjektiv beschönigen zeigt ja schon, wie wichtig
uns Schönheit ist, indem wir eine Situation beschönigen wollen,
wie der Wahrheit etwas von ihrer Schärfe, Hässlichkeit,
Unverträglichkeit, ihrem Schmerz nehmen zu wollen. Die Schönheit
dient hier als Linderung, als jenes Mittel, das vielleicht auch
verbinden soll und verbindlich wirkt.
Das Wort dienen sollte uns aufhorchen lassen, dient
Schönheit? Ist sie also Mittel zum Zweck – oder ist nicht sie
selbst, in sich selbst ruhend, und nur sich selbst verpflichtet,
nur der Schönheit willen. Sie muss also nicht nur eine dienende
Wirkung und Funktion haben, denn dann wäre sie schon längst
abgeschafft, hätte diese längst überlebt oder wäre durch ein
technisches Gerät der I-Generation abgelöst worden. Also doch
Schönheit um der Schönheit willen.
Allen uns bekannten Kulturen haben einen Begriff von Schönheit
und haben auch das Instrumentarium diese Schönheit zu schaffen.
Freilich das, was als Schönheit angesehen wird, scheint
unterschiedlich gewertet zu sein. Schönheit also doch nichts
weiter als subjektive Wahrnehmung? Es gibt also keine Kriterien
für die Schönheit? Wenn es diese nicht gibt, so gibt es doch
Annäherungen. So taucht in der Reiseliteratur vergangener aber
auch gegenwärtiger Zeiten immer wieder der Begriff der „wilden
Schönheit" auf. Ein Begriff, der Anlass bietet für Fantasien
aller Art. Also eine Schönheit, die eine besondere Wirkung
hervorruft. Was
wäre das Gegenteil zur wilden Schönheit – die zivilisierte oder
gezähmte Schönheit? (die Assoziation langweilig drängt sich bei
der „gezähmten Schönheit" geradezu auf).
Oder ist die kultivierte Schönheit gemeint, etwa nach dem
Vorbild der ägyptischen Pharaoninnen und den sogenannten
Nebenfrauen der Pharaonen? War nicht im Namen einer der
berühmtesten Frauengestalten der Weltgeschichte der Begriff
„Schönheit" enthalten? Nofretete hiess sie, das bedeutet: „Die
Schönheit kommt". Welche Poesie im Namen!
Ist schön einfach schön? Sozusagen l`art pour l`art?
Eine solch im tiefsten Grunde bejahende Haltung finden wir z.B.
im Jugendstil. Und doch so scheint es, ist Schönheit nicht
isoliert, einsam, anbetend damit sie als Schönheit zu bezeichnen
ist. Ist es die Seele, welche der Schönheit innewohnt, die die
Schönheit zu einer solchen werden lässt?!
Verleiht also die Seele der Schönheit ihren Nimbus? Die antiken
griechischen Skulpturen beeindrucken uns noch heute in ihrer
Schönheit und Vollkommenheit, selbst dann, wenn sie also Torso
zu uns blicken, erahnen wir ihre einstige Schönheit und
Vollkommenheit im Erhabenen. Hat also Schönheit viel mit
Vollkommenheit zu tun? Dies, so scheint mir ist der Irrtum, an
dem wohlgemerkt die kosmetische Chirurgie hervorragend Geld
verdient. Man versucht mit dem Skalpell Vollkommenheit zu
erreichen und jene Damen und Herren merken nicht, dass sie ihre
Schönheit dabei verlieren. Denn die Seele lässt sich nicht
operieren, sie lässt sich vielleicht heilen, aber nicht
chirurgisch verschönern.
Verschönern ist betonen, ist phrasieren, ist das Spiel der
Schatten, die das Licht zaubert.
Verschönern bedeutet dem Vorhandenen eine Richtung geben, wie
das ein Kosmetik-Studio sich als Aufgabe gestellt hat.
Ja braucht es denn Kosmetik-Studios? Ist nicht die Natur die
Meisterin aller Dinge? Sie ist es! Aber auch einer Meisterin
misslingt das Eine oder das Andere. Benötigen wir also Kosmetik
Studios? Nun, im Sinne des Überlebens sicher nicht! Aber im
Sinne des Lebens ja, da sich diese Studios mit Schönheit im
Allgemeinen und mit Hilfe zur Schönheit im Individuellen
befassen. Und eine Gesellschaft, in der es möglich ist, dass es
Berufszweige zur Hilfe der persönlichen, individuellen Schönheit
gibt, ist eine hoffnungsvollere als jene, die sich mit der
Effizienz von Munitionsproduktion beschäftigt. Eine sinnenfrohe
Gesellschaft hat meiner Meinung nach auch immer eine sinnvollere
Zukunft und gegenwärtige Lebensart. Darum Vorsicht vor jenen
Asketen, die die Schönheit und Sinnlichkeit verteufeln wollen.
Vorsicht vor jenen, die alles nur auf das sogenannte Geistige
und das moralisch Korrekte reduzieren wollen. Nichts ist so
gewalttätig wie die so hochgelobte „political corectness", wie
die Moralisten und die religiösen Eiferer im Gewand der Askese.
Und vergegenwärtigen wir uns, das Wort Kosmetik kommt aus dem
antiken Griechenland, bedeutet frei übersetzt Körperpflege, es
entstammt also einer sinnfrohen antiken Gesellschaft. Wir
sollten uns auch nicht beirren lassen, wenn es im Laufe der
Zeiten leider auch eine negative Bedeutung erhalten hat.
Hätten also die Medicis sich „political correct" verhalten, die
Renaissance wäre ehe sie überhaupt begonnen hätte schon wieder
vorbei gewesen. Nein Sinnlichkeit – vielleicht auch Schönheit –
ist und steht ausserhalb der Moral, so wie jede Schönheit
jenseits der Moral lebt. Denken wir hier in diesem Zusammenhang
an die in der Antike aufsehenerregende Schönheit der Frau Phyrne!
Wir alle kennen den Ausdruck der „verbotenen Schönheit". Dieser
Begriff sagt viel über unsere Ängste vor der Schönheit aus.
Ganze Religionsverhaltensregeln sind auf dieser Angst vor der –
weiblichen – Schönheit aufgebaut, dramatisch beginnend mit dem
Aufkommen des Monotheismus! (warum nur musste das der Menschheit
passieren??)
Wie reich war die Sinnlichkeit im vorchristlichen Europa und im
vorislamischen Orient! Wie viel Raffinesse, Fantasie und
Kultivierung der Schönheit wurde dort aufgefächert gelebt. Die
Tränen sind es wert zu vergiessen über diesen grossen Verlust
menschlichen Glücks und Lebensart. Um den Historikern und
Calvinisten gleich zu sagen, natürlich waren jene Zeiten in
Mesopotamien, Assyrien, Babylon, Ägypten, Persien, Griechenland
und Rom nicht nur von Frieden und Glück beseelt, wohl wahr,
aber, aber diese Gesellschaften liessen es zu, und ermöglichten
es, dass ein solch überreich verzierter Kelch der Sinnlichkeit
entstand aus dem der Wein der Fantasie genossen wurde. Und aus
diesem Rausch der Fantasie entstand die Architektur und Kunst.
Jahrhunderte lang tranken diese Gesellschaften den Nektar der
Sinnlichkeit und Schönheit und gaben der Welt so grundlegendes:
Astronomie, Mathematik, die Schrift, eine bis heute
beeindruckende Mythologie, die Poesie und Philosophie
gleichermassen ausdrückt, gekoppelt mit grosser gelassener
Weisheit. Der Klang dieser Sinnlichkeit, der uns als Schönheit
entgegentritt, und umgekehrt, können wir heute nur noch in den
Museen hören. Natürlich gaben auch die grossen monotheistischen
Religionen der Welt Grossartiges aber in Bezug auf die Schönheit
der Sinnlichkeit und der Sinnlichkeit der Schönheit, gaben sie
der Menschheit vor allem dreierlei: Verbote, Verhüllung,
Verfolgung.
Wir sehen Schönheit hat Geschichte, hat Jahrtausende
zurückreichende Wurzeln und es ist wohl eine für alle Menschen
unumstössliche Grundtatsache, dass der Mensch ohne Schönheit
nicht leben will und kann.
Dass es immer wieder – vor allem Männer – gab, die dieses
notwendig menschliche Bedürfnis aus der Welt schaffen wollten,
sei an dieser Stelle vermerkt, Paulus, Calvin, Chomeini um in
grossen Zeitsprüngen einige von einer unsäglichen Vielzahl zu
nennen. Meist selbst hässlich und/oder alt!
In tiefster Bedeutung kann gesagt werden, sind diese fanatischen
Eiferer, die letztendlich auch die Religion und somit auch den
lieben Gott missbrauchten, gescheitert. Schönheit lässt sich
nicht aus der Welt schaffen, diese Weltverbesserer sind nur
Weltverschlechterer, die viel Unheil und Tränen über die
Menschen gebracht haben, doch trotz aller Tränen,
Scheiterhaufen, Chadors-Aphrodite hat stets triumphiert, ist
stets als Siegerin im Ringen gegen die Schönheit und
Sinnlichkeit hervorgegangen. Auch dann als übereifrige
frühchristliche Bischöfe ihre Tempel und Statuen zerstörten und
ins Meer werfen liessen. Nicht wissend, dass sie Aphrodite zu
ihren Ursprüngen zurückgaben, war sie doch – schaumgeboren – dem
Meer am Strande Zyperns entstiegen, und ist, seitdem sie den
Kiesstrand betrat, nicht mehr aus der Welt zu verbannen! Oscar
Wilde hat es auf seine Art formuliert: ich kann allem
widerstehen – nur nicht der Versuchung!
Und so sei als kleine Fussnote in eigener Sache anzumerken,
waren es eine Schar unbewaffneter Männer und Frauen die
Aphrodites Lied auch dann noch sangen, als sie vertrieben wurde:
die Dichter und Dichterinnen. Ob im Orient oder im Okzident sie
sangen das Lied der Aphrodite – in allen Sprachen, zu allen
Zeiten.
Es scheint mit der Schönheit ähnlich zu sein wie mit den
Pianisten: Ein grossartiger Pianist beeindruckt, ein grosser
Pianist berührt.
Aber machen wir nicht manchmal den Fehler, indem wir nach der
Schönheit suchen? Begegnet uns Schönheit nicht überall? Die
Schönheit eines sich im Herbst verfärbenden Baumes, die
Nachmittagssonne auf glitzernden Wellen eines Sees, der Flug der
kreisenden Möwen, Novembernebel in der Nacht, der wiegende Lauf
eines Sportlers. Schönheit wird auch und vielleicht gerade dann
evident, erlebbar, in der Fragmentierung, der Giebel eines
Hauses im Halbschatten, ein Ausschnitt gerät zur Schönheit,
plötzlich, unvermittelt, es berührt uns, da in diesem kleinen
Fragment eine ganze – vielleicht auch grosse – Seele wohnt. Das
flüchtige Lächeln erscheint uns schöner als die Modelle in den
Hochglanz-Magazinen in lupenreiner, perfekter Ausleuchtung.
Was mag das Gegenteil von Schönheit sein? Das Hässliche?
Braucht also die Schönheit den Gegenpol des Hässlichen um als
Schönheit zu bestehen, um als solche wahrgenommen zu werden?
Wäre sie sonst selbstverständlich und somit von geringer
Bedeutung?
Nun, das Hässliche hat seine Funktion und kann enorm kreativ
wirken, wie wir bei Charles Baudelaire lesen können oder in den
Filmen von Frederico Fellini sehen. Das Hässliche fasziniert,
tut dies die Schönheit
auch? Ja, aber interessanterweise
auf eine andere
Art. Bei der
Schönheit kommt der Aspekt der Bewunderung hinzu, welches die
Hässlichkeit für sich nicht in Anspruch nehmen kann.
Wenn es um der Schönheit herum soviel Polarität gibt, könnte ein
aufmerksamer Leser oder Zuhörer nun sagen, well, Schönheit ist
noch nicht erklärt. Also warum versuchen wir es nicht
dialektisch und fragen was Schönheit nicht ist? Dies aber
scheint genau so schwierig zu sein und birgt ebenfalls die
Überheblichkeit in sich, auch zu definieren was Schönheit ist,
freilich nur durch die Negation.
Und dann stehen die Fakultäten sofort Schlange: Die Humanisten
sagen, dass Menschlichkeit an sich schön sei. Die Geographen
dozieren: es sei die Natur, geraten aber schnell mit den
Theologen in Disput, da sie die Schönheit der Natur von Gott
ableiten, wogegen es ja eigentlich kein Gegenargument gibt, was
aber trotzdem mutig die Biologen auf den Plan ruft, und sie
Einhalt gebieten mittels der Evolutionstheorie, sie sei die
Ursache und die Meisterin Allen und Alles , also auch
logischerweise der Schönheit! Spätestens
hier meldet
sich die Politische Wissenschaft zu Wort,
indem sie postuliert, die Revolution bringe neue, eben
revolutionäre Schönheit hervor. Ein Blick in die russische
Avantgarde der 30er Jahre zeige dies überdeutlich. Dies nun
wieder ist den Astronomen derart kleinlich und irdisch, dass sie
lächelnd halb weise, halb verärgert und im sanften Ton das
Universum als Quelle und Zukunft der Schönheit deklarieren!
Im Konzert der geistreichen Schönheitsergründer lässt die
Philosophie verkünden: Panta Rhei, Alles Fließt und dann taucht
in diesen Wirbel der Gedanken und Disputierens ein Geschöpf auf,
mit wehenden Haaren, einem Antlitz, welches die Quellen des
Nordens ebenso subtil ausprägt wie jene des schwarzen
Kontinents, sich paarend mit dem großen, neuen Kontinent
jenseits des Atlantiks. Dieses Geschöpf, dass heiter und
lächelnd im Auditorium der Weisheit, des Denkens, des Ergründens
erscheint, ein wenig verlegen vielleicht, wegen dieses Geschöpf,
nennen wir es der Einfachheit halber <Frau>, verstummt die
Dialektik, schweigt die Philosophie, wird die Revolution
verschoben oder findet auch nicht mehr statt, werden die
Astronomen unentrinnbar irdisch. Und der Poet, den die Weisheit
nicht sah, den die Ergründer nicht wahrnahmen und die Astronomen
nicht kennen, lächelt das Geschöpf erliegend an und spricht die
geflügelten Worte „Sie herrschet, bloß weil sie sich zeiget".
Der Dichter aus Weimar, wohnend in der Schillerstraße, verlässt
leise, diskret das würdige Auditorium und mit ihm das weibliche
Geschöpf, also die Frau, wohl fasziniert mehr von der heiteren
Toleranz und dem sprühenden Geist des Dichters, als von der
feuerlosen Klugheit der Welterklärer.
Stille im Auditorium. Eine Stille der Überraschung, des nicht
fassbaren, des nicht in Worte zufassenden, jene Stille die das
Suchende als Ziel und Weg gewählt.
Wer oder was war nur dieses Geschöpf, fragt die Philosophie, die
materialisierte Sonne antwortet der Astronom, der ideale Mensch,
postuliert der Humanist – doch die Einigung wer oder was es war,
bleibt – wie zu erwarten war – aus.
Ein lange nicht beachteter Mensch am Ende des Auditoriums, ein
Musiker und Komponist, wie sich herausstellt, wird nun von den
Weisen befragt: Wer nur war dies Geschöpf, welches der Astronom
als materialisierte Sonne bezeichnete?
Der Musiker lächelt, holt seine Geige hervor, spielt einige
Takte, so, dass selbst die Weisheit den Panzer des Wissenden
ablegt. Als er sein Spiel geendet hat, sagt der Musiker: Nicht
Sonne, Meer meine Herren, aus dem Meer! Wer dies Geschöpf war,
gleich der Musik, nun es war, es war eine Tochter Aphrodites,
diese Geschöpfe, wie ihr sie nennt, sind die Töchter der Venus,
sie sind das Herrlichste auf dieser Welt, so habe ich meinen Don
Giovanni singen lassen: sie sind das Herrlichste auf dieser
Welt! – Springt auf, spielt auf seiner Geige, verlässt das
Auditorium des Wissens, und gesellt sich zum Dichter, der mit
der Tochter Aphrodites auf ihn gewartet hat und so umarmen sie
das Leben – und die Schöne...
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