Doch zurück zu unserem Besuch des Bellerive Museums: wir
betreten ein kleines Entree mit rotem Kachelboden und dann die
hundert Quadratmeter grosse Halle mit ihrem Kreuzgratgewölbe, sehen die grosszügig
geschwungene Treppenanlage aus gelb-braun marmorierten
Travertin.
Fabulieren wir einmal: war es früher der grosse Empfangsraum mit
den meterhohen Fenstern zum See hin, in dem Seidenfabrikanten
und Modeschöpfer begrüsst wurden?
Von der Halle führen zwei Räume zu beiden Seiten weg, dort wohl
zum dinieren, wo angeregt Konversation gehalten wurde und die
dortigen Gäste der Dame des Hauses artige Komplimente machten.
Im andren, vielleicht der Rauchersalon, wo die sich die Stirn
runzelt, man sorgenvoll ins restliche Europa blickte, sich
fragte, wie die Geschäfte sich angesichts der unklaren Lage in
den Nachbarländern entwickeln würden.- Und heute: heute stehen
dort mobile Glasvitrinen mit römischen und syrischen Gefässen
aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert oder persische
Gefässchen des 9./10. Jahrhundert mit reichem Dekor von
Blatt-Kreis- und Spiralmustern überzogen. Aber auch junge
Produkte sind zu bewundern: Flacons, Stengelgläser aus der
Wiener Glasmanufaktur Lobmeyer. Ebenso einmalige Artefakte aus
gleichem Material englischer Herkunft, die durch ihre
Schlichtheit beeindrucken.
Doch die kürzeste kunstgeschichtlichste Epoche ist das
Hauptgebiet des Museums: der Jugendstil, diese Art des
lustvollen fabulieren, des sinnlichen Gestaltens, diese
kunstvolle, kleinmotivische Melodik, diese weiche Ornamentik.
Ja, diese Kunst gehört auf sinnfällige Weise in diese bauliche
Umgebung, und wenn wir dort hindurchgehen, die kostbaren
Ziergefässe von Emile Galle`, Tiffany und Loetz betrachten,
ebenso das Besteck aus Silber von Henry van der Velde, hören wie
dann nicht auch Claude Debussy`s „Image“ und die „Preludes“?
Diese Villa gehörte einem Textilfabrikanten. Ist es daher nicht
folgerichtig, dass an Vielfalt und Umfang die Textilsammlung des
Museums herausragt. Findet man dort doch eine repräsentative
Kollektion koptisch, islamischer Gewebe, Fragmente in
leuchtenden Farben mit teilweise figürlichen Darstellungen der
Präkolumbischen Kulturen, aber auch Umschlagtücher aus
Indonesien und Ozeanien. Doch auch Europa, das klassische
Europa, ist im wahrsten Sinne des Wortes prächtig vertreten. So
gibt es zahlreiche gewebte und bedruckte Stoffe des 17. Bis 20.
Jahrhundert aus Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und
der Schweiz. Zu sehen sind so u.a. die Entwürfe des William
Morris, die seidenen Batiktücher des Holländers Christian
Lebeau. Und wieder kommen die Höhepunkte dieser alten
Menschheitskultur aus dem Jugendstil: der kostbare Wandbehang
mit Applikationsstickereien „Die Engelwache“
(1893) von Henry van der
Velde, sein Schlüsselwerk, welches den Wendepunkt bei ihm
markiert, von der Malerei hin zur angewandten Kunst.
Das Museum Bellerive ist ein Haus der grossen Kunst im kleinen
Exponat, fern der teilweise lärmenden Grossmuseen mit Presse und
Sicherheitsdienst. Diese Villa am See hat sich das still
träumerische der Kunstdarstellung bewahrt, wo eine intime
Aufnahme mit dem Kunstwerk ungestört geschehen kann. Es ist mehr
als nur einen Besuch wert, und sei es „nur“ um im Spätherbst auf
den See zu schauen umgeben von kleinformatigen grossartigen
Kunstwerken.
|
|