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 April 2010 - Nr. 4
 

Paul Bernhard BerghornDoch zurück zu unserem Besuch des Bellerive Museums: wir betreten ein kleines Entree mit rotem Kachelboden und dann die hundert Quadratmeter grosse Halle mit ihrem Kreuzgratgewölbe, sehen die grosszügig geschwungene Treppenanlage aus gelb-braun marmorierten Travertin.

Fabulieren wir einmal: war es früher der grosse Empfangsraum mit den meterhohen Fenstern zum See hin, in dem Seidenfabrikanten und Modeschöpfer begrüsst wurden?

Von der Halle führen zwei Räume zu beiden Seiten weg, dort wohl zum dinieren, wo angeregt Konversation gehalten wurde und die dortigen Gäste der Dame des Hauses artige Komplimente machten. Im andren, vielleicht der Rauchersalon, wo die sich die Stirn runzelt, man sorgenvoll ins restliche Europa blickte, sich fragte, wie die Geschäfte sich angesichts der unklaren Lage in den Nachbarländern entwickeln würden.- Und heute: heute stehen dort mobile Glasvitrinen mit römischen und syrischen Gefässen aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert oder persische Gefässchen des 9./10. Jahrhundert mit reichem Dekor von Blatt-Kreis- und Spiralmustern überzogen. Aber auch junge Produkte sind zu bewundern: Flacons, Stengelgläser aus der Wiener Glasmanufaktur Lobmeyer. Ebenso einmalige Artefakte aus gleichem Material englischer Herkunft, die durch ihre Schlichtheit beeindrucken.

Doch die kürzeste kunstgeschichtlichste Epoche ist das Hauptgebiet des Museums: der Jugendstil, diese Art des lustvollen fabulieren, des sinnlichen Gestaltens, diese kunstvolle, kleinmotivische Melodik, diese weiche Ornamentik. Ja, diese Kunst gehört auf sinnfällige Weise in diese bauliche Umgebung, und wenn wir dort hindurchgehen, die kostbaren Ziergefässe von Emile Galle`, Tiffany und Loetz betrachten, ebenso das Besteck aus Silber von Henry van der Velde, hören wie dann nicht auch Claude Debussy`s „Image“ und die „Preludes“?

Diese Villa gehörte einem Textilfabrikanten. Ist es daher nicht folgerichtig, dass an Vielfalt und Umfang die Textilsammlung des Museums herausragt. Findet man dort doch eine repräsentative Kollektion koptisch, islamischer Gewebe, Fragmente in leuchtenden Farben mit teilweise figürlichen Darstellungen der Präkolumbischen Kulturen, aber auch Umschlagtücher aus Indonesien und Ozeanien. Doch auch Europa, das klassische Europa, ist im wahrsten Sinne des Wortes prächtig vertreten. So gibt es zahlreiche gewebte und bedruckte Stoffe des 17. Bis 20. Jahrhundert aus Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und der Schweiz. Zu sehen sind so u.a. die Entwürfe des William Morris, die seidenen Batiktücher des Holländers Christian Lebeau. Und wieder kommen die Höhepunkte dieser alten Menschheitskultur aus dem Jugendstil: der kostbare Wandbehang mit Applikationsstickereien „Die Engelwache“ (1893) von Henry van der Velde, sein Schlüsselwerk, welches den Wendepunkt bei ihm markiert, von der Malerei hin zur angewandten Kunst.

Das Museum Bellerive ist ein Haus der grossen Kunst im kleinen Exponat, fern der teilweise lärmenden Grossmuseen mit Presse und Sicherheitsdienst. Diese Villa am See hat sich das still träumerische der Kunstdarstellung bewahrt, wo eine intime Aufnahme mit dem Kunstwerk ungestört geschehen kann. Es ist mehr als nur einen Besuch wert, und sei es „nur“ um im Spätherbst auf den See zu schauen umgeben von kleinformatigen grossartigen Kunstwerken.

 
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Paul Bernhard Berghorn berichtet über Philosophie, Betrachtungen, Reisen, Kunst, Malerei, Buchbeschreibungen

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